Dienstag, 31. März 2020

Kleine Gebetsschule XV: Loben, bitten, danken, klagen

Loben ist Beten in Hochform. Gott loben heißt, Ihm absichtslos zustimmen, einstimmen in das große Ja Gottes zum Leben. Anbetung, Lobpreis, Segen: Wer lobt, wendet sich dem Licht Gottes zu, selbst wenn er sein Leben im Schatten erlebt; wer Gott lobt, will nichts außer sich freuen an Ihm. Viele Psalmen, Kirchenlieder und liturgische Texte sind Lobgebete. Wenn ich Gott lobe, benutze ich Ihn nicht für meine privaten Wünsche und ich mache mich vor Ihm auch nicht klein. Loben ist Beten von Angesicht zu Angesicht, auf Augenhöhe mit Gott. Wer Gott lobt, findet für Ihn immer neue, fast überschwängliche Worte – wie in der Liebe.

„Halleluja! Lobt Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner mächtigen Feste!
Lobt ihn für seine großen Taten, lobt ihn in seiner gewaltigen Größe!
Lobt ihn mit dem Schall der Hörner, lobt ihn mit Harfe und Zither!
Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel!
Lobt ihn mit hellen Zimbeln, lobt ihn mit klingenden Zimbeln!
Alles, was atmet, lobe den Herrn! Halleluja!“ (Psalm 150)
         
Das Bittgebet ist das einfachste und das schwierigste Gebet. Ich habe darüber in der „Kleinen Gebetsschule VIII: Den Himmel bestürmen?“ am 24. März ausführlich geschrieben. Bitte noch einmal nachlesen! Zusammengefasst: Sage nicht deinem Gott, dass du ein Problem hast, sondern sage deinem Problem, dass du einen Gott hast!

Das Dankgebet macht deutlich, dass ich nichts von dem, was mir geschenkt wurde, für selbstverständlich halten soll. Danken hat mit Staunen zu tun, mit Aufmerksamkeit und Vertrauen. Dankbar für mein Dasein werde ich häufig in der Natur – ich erfahre mich als ein Teil der Schöpfung, die nicht sinnlos ins All geworfen ist, sondern von Gott gewollt und beseelt ist. Dankbar für jeden Tag meines Lebens werde ich, wenn ich abends meinen Tag im Angesicht Gottes reflektiere. Im größten Dankgebet der Christenheit, der Eucharistie, verschmelzen Dank und Lob miteinander: Es gibt kein größeres Gotteslob, als Gott, dem Vater, den Dank für die Erlösung durch Jesus Christus immer wieder zum Ausdruck zu bringen, zu feiern und zu empfangen.

Das Klagegebet kommt häufig zu kurz. Und dabei gibt es himmelschreiendes Unrecht! Die Klage dient dazu, die eigene seelische Verfassung ehrlich ins Wort zu bringen und das eigene Gottesbild zu läutern. Das Klagen hilft, ehrlich zu beten; meine Worte werden dadurch ganz sicher weniger schön, aber dafür wahrhaftiger. Die Klage weigert sich, das herrschende Elend und Gott vorschnell miteinander zu versöhnen und die Welt einfach nur hinzunehmen, wie sie ist. So motiviert die Klage zu einem Leben aus dem Glauben. Manchmal denke ich: Weil wir das Klagegebet verlernt haben, bitten wir Gott häufig um das Unmögliche – und werden notwendig enttäuscht. Es wäre besser, ehrlich zu klagen, als darum zu bitten, dass Gott uns vor jeder Enttäuschung bewahrt. Wenn ich vor Gott meine Not ehrlich ausspreche, merke ich manchmal schon, dass ich genug Kraft habe, selbst etwas daran zu ändern. Beten ist Vertrauensarbeit – das lese ich aus vielen Klagepsalmen heraus. Zunächst scheint die Not unüberwindlich groß. Doch dann geschieht im Beter selbst eine Wendung: Die Not wird dadurch gewendet, dass sich die Perspektive des Beters ändert. Er gelangt durch das Klagegebet zum Vertrauen – und schließlich zum Lob Gottes.

Das Christentum geht über solches Klagen noch hinaus: Christen glauben, dass Gott selbst in Christus mitten durch das Kreuz hindurch ging und damit menschliches Leiden nicht sinnlos sein kann. Christen klagen nicht ins Leere.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Montag, 30. März 2020

Kleine Gebetsschule XIV: Beten lernen - vorbeten können

Man kann nur mit dem Herzen beten, wenn der Mund das Beten gelernt hat. Meine Glaubenssprache ist auf mich zugekommen. Ich muss den Glauben und das Gebet also nicht erst erfinden. Das Vaterunser zum Beispiel habe ich nicht aus Büchern gelernt, sondern meinen Eltern von den Lippen abgelesen; ich stelle mich damit in eine Erfahrung hinein, die immer größer ist als mein eigener Glaube je sein kann. Weitere Beispiele für diesen „größeren Horizont“ sind manche alte Kirchenlieder, die ich nur noch singen, aber nicht mehr beten kann, und das Glaubensbekenntnis – da kann ich etwas Umfassendes bekennen, auch wenn ich alles gar nicht so verstehen und glauben kann, wie es da steht, weil sich Sprache und Denken geändert haben. Es steht für das Größere des Glaubens, in dem ich stehen und Ruhe finden darf.

Gebete können und dürfen nicht immer neu sein. Beim gemeinschaftlichen Beten schaffen immer gleiche und daher verlässliche Worte Identität und Atmosphäre. Wenn ich mitbeten kann, gehöre ich dazu. In Krisensituationen bin ich nicht mehr kreativ. Wenn’s mir die Sprache verschlägt, dann gehen die Worte aus; ich brauche einfache, sich wiederholende Worte, die kommen, weil sie „da“ sind und ins Leben „einfallen“; Worte, in denen mein eigener kleiner Glaube Geborgenheit und Halt findet. Solche Grundgebete muss ich „können“ und „kennen“, auswendig und inwendig: von Herzen. Das Christentum ist ein Glaube des Wortes, da komme ich ohne ein bisschen Hirnschmalz nicht aus. Es gibt einen Gebetskanon, den ich einfach „drauf“ haben muss.

Zu diesen Grundgebeten gehören auch und vor allem die Psalmen. Sie sind die Gebete Jesu und seines Volkes. Sie bestimmen die Tagzeitenliturgie (das Stundengebet) der Kirche. Wenn ich darin wirklich zu Hause bin, geht mir als Vorbeter niemals die Luft aus. Kaum ein anderes Gebet bringt das Leben der Menschen so deutlich in Wort und Bild wie das der Psalmen. Sie sind dabei „offen“ und „konkret“ zugleich, so dass jeder seine eigene Lebenssituation darin gut wiederfinden kann. Ich kenne ganz viele davon auswendig. Jesus konnte sie alle.
Christen dürfen Vorbeter sein: Ein Gebet in der gemeindlichen oder gesellschaftlichen Öffentlichkeit, dazu noch ein selbst formuliertes, ist ein echtes und deutliches Glaubenszeugnis. Die Außenwahrnehmung ist sehr sensibel dafür, ob ich nur für Tradition und Institution oder auch für gelebten Glauben und Spiritualität einstehe. Man fragt dann: „Betet er das nur herunter, oder betet er?“ Wie im Glauben, so gilt auch beim Beten und Vorbeten: Anbieten ist besser als aufzwingen, Zeugnis geben ist besser als nur zu überzeugen!
Wer Gottesdienste vorbereiten darf, macht die Erfahrung, dass Gebete meistens schneller und unkomplizierter selbst zu formulieren sind, als dass lange in Vorlagen nach passenden Texten gesucht wird. Das Ergebnis ist dann meistens ein Gebet, das sprachlich und situativ weitaus besser aus der Gemeinde heraus spricht als jeder ausgewählte fertige Text. 

Eine gute Hilfe bei der Formulierung eigener Gebete ist die Orientierung am liturgischen Gebet der Kirche. In der Liturgie beten wir immer zum Vater durch Christus im Heiligen Geist. Christus, unser Bruder, steht uns zur Seite; Er nimmt unsere Freuden und Sorgen gleichsam mit zum Vater, Er „vermittelt“ sie. Deshalb schließt jedes liturgische Gebet so: „durch Christus, unseren Herrn“. Und weil es ein und derselbe Heilige Geist ist, der uns in Taufe und Firmung zugesagt wird und der als lebendige Liebe in Gott selber lebt, dürfen wir sicher sein, dass der Dreieinige Gott unser Beten zugleich ermöglicht (Geist), vermittelt (Sohn) und erhört (Vater). Gott, der Vater, der alles in allem ist, erhört durch seinen Sohn Jesus Christus, den Gott-mit-uns, den Erlöser und Heiland, das, was wir im Heiligen Geist, dem Gott-in-uns, beten. Was wir beten, kommt beim Vater an: durch Christus im Geist. Es „geschieht“ ja bereits in Gott.

Die liturgische Form, die beim eigenen Beten und Vorbeten helfen kann, ist ganz einfach:  „Anrede – Dank – Bitte – Schluss“. Diese Struktur ist leicht zu merken, und sie bewahrt mich davor, Gott nur mit Bitten und Wünschen zu überhäufen, ohne Ihn zu loben, zu preisen und Ihm erst einmal zu danken; sie bewahrt mich davor, Ihn nur zu „gebrauchen“, ohne Ihn auch zu „lieben“ und Ihm das zu sagen. 

Anrede: Wie möchte ich Gott ansprechen? In welchen Bildern möchte ich mich vor Ihn stellen? Gott hat sicher mehr als tausend Namen. Welche Anrede „trifft“  jetzt am ehesten?
Nur eine Anrede ist – außer vielleicht beim Beten mit Kindern – nicht sinnvoll: „Lieber Gott!“ So einfach ist das Leben nicht, so bürgerlich lieb und brav ist Gott nicht zu haben. Möglich wäre allerdings eine andere Schreibweise: „Der Liebe Gott“, also der Gott der Liebe und nicht bloß der „liebe Gott“.

Dank: Das kann bedeuten: Danken für das, was ist, und für das, was war; auch Schrei und Klage sind erlaubt; zum Ausdruck bringen, wer ich vor Gott bin.

Bitte:  Jetzt erst kommt mein Gebetsanliegen, meine und unsere Bedürftigkeit zur Sprache. Bitte, das kann ein Blick in die Zukunft sein; eine Hoffnung, eine Frage.

Schluss: Der übliche Gebetsschluss lautet „durch Christus, unseren Herrn“. Ich mache mir bewusst, dass Gott mein Beten wirklich hört. Betend bin ich hinein genommen in das Geheimnis und die Lebendigkeit des Dreieinigen Gottes. 

Wem eine Struktur eher hinderlich ist, als dass sie ihm hilft, der kommt aber auch ganz gut ohne aus. Das Herz, das sich zu Gott erhebt, braucht Freiheit, Fantasie, Liebe. Wer es trotzdem einmal mit dieser Form „Anrede – Dank – Bitte – Schluss“ probieren möchte, der kann am besten mit Tischgebeten beginnen. Frei formulierte Tischgebete sind ein guter Anfang – und ein echtes Glaubenszeugnis mitten im Alltag. 

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Samstag, 28. März 2020

Kleine Gebetsschule XIII: Eine Ordnung, die trägt

Viele Menschen haben aufgehört zu beten. Und das, obwohl sie an Gott glauben. Vielleicht überfordern sie sich und ihr Gebet. Sie denken, ihr Gebet müsse etwas „bringen“; es müsse etwas dabei herauskommen. Das Gebet jedoch ist zweckfrei, aber sinnvoll; es hat seinen Wert in sich. Als Beispiel nenne ich gerne die Salbung in Betanien:  

Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen bei Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem, wohlriechendem Öl zu ihm und goss es über sein Haar. Die Jünger wurden unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl teuer verkaufen und das Geld den Armen geben können. Jesus bemerkte ihren Unwillen und sagte zu ihnen: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer. Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat (Mt 26,6-13).

Glauben und Gebet haben mit Beziehung zu tun – und sind damit zweckfrei und sinnvoll. „Sie hat ein gutes Werk an mir getan“, lesen wir in der Bibel. Wörtlich übersetzt heißt es: „Sie hat ein schönes Werk – ergón kalón – an mir getan“, und das ist etwas ganz anderes. Die Frau, die Jesus salbt, verfolgt damit keinen Zweck, sondern einen Sinn; keinen Nutzen, sondern Schönheit. Solch ein „schönes Werk“ ist auch das Gebet.

Christen beten deshalb nicht, weil es effizient ist oder weil sie damit Glück und Segen „produzieren“ können. Dann käme es ja beim Beten auf Leistung an. Beten mit himmlischer Dividende ist ein ganz schlimmer Aberglaube. Christen beten, weil sie darin ihre Beziehung zu Gott zum Ausdruck bringen, ohne genau zu wissen, was es bei Gott bewirken mag. Es geht ihnen nicht um Produktion, Zweck und Nützlichkeit, sondern um Liebe, Schönheit und Beziehung.

Wenn sich eine Familie zum Abendessen trifft, so gibt sie sich dafür auch keine Tagesordnung; es muss nichts dabei herauskommen. Nicht die Themen sind wichtig, nicht das Ergebnis, sondern dass man einfach zusammen ist (isst) und Beziehung erlebt. Und gerade Beziehung lebt von Äußerlichkeiten.

Das wurde mir im Gespräch mit einer Eheberaterin mehr als deutlich; sie sagte mir: „Liebe braucht fortdauernde Pflege. Es gilt etwas für die Liebe zu tun, damit sie lebendig bleibt. Denn von selbst wird eine Beziehung nur eins: schlechter. Liebe braucht Pflege, Liebe braucht die alltägliche Umsetzung in kleine Schritte und sichtbare Zeichen.“ Und dann sprach sie von „fünf Pflegehinweisen für eine gelingende Ehe und Partnerschaft“, die sie jungen Paaren manchmal an die Hand gibt:


1.     Nehmt euch morgens zwei Minuten Zeit zum Austausch über die Frage: Was steht heute bei mir und dir an?
  1. Lasst euch am Abend mindestens 15 Minuten Raum und Zeit, um vom Erleben des Tages zu erzählen.
  2. Konzentriert euch fünf Minuten am Tag darauf, dem anderen etwas Positives zu sagen. Es soll fünfmal mehr Lob als Kritik geben.
  3. Gebt einander mindestens fünf Minuten Körperkontakt.
  4. Nehmt euch innerhalb einer Woche Zeit für ein längeres partnerschaftliches Gespräch über anderthalb bis zwei Stunden.

„Man soll sich dabei nicht überfordern“, meinte die Eheberaterin, „sondern klein anfangen. Mäßig, aber regelmäßig lautet die Devise. Und dann allmählich das Programm erweitern – ‚weil du es mir wert bist’.“

In jeder Beziehung trägt gerade das Äußere. Das konnte ich bei der Eheberaterin lernen. Wenn Glauben und Beten Beziehung bedeuten, dann kann man ihre fünf Pflegehinweise direkt auf das Gebet übertragen:

  1. Ein kurzes Morgengebet – aussprechen, was mich heute erwartet.
  2. Ein längeres Abendgebet – den Tag vor und mit Gott reflektieren.
  3. Gott loben steht im Vordergrund – vor allem Klagen und Bitten.
  4. Glauben braucht kleine und große Zeichen – Symbole und Sakramente.
  5. Der Sonntagsgottesdienst.

Gebet ist Beziehung, und Beziehung lebt von außen nach innen. Dass manche Menschen gerade beim Gebet so sehr auf Innerlichkeit setzen, sich so sehr unter Druck setzen, so sehr auf Ergebnisse aus sind, das ist der Tod einer jeden Gottesbeziehung.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Kleine Gebetsschule XII: Der Normalfall des Betens

Menschen überfordern sich, wenn sie meinen, das Gebet müsse ganz von innen her kommen; es müsse erfüllend sein, ein ganz besonderes Erlebnis. Wer so denkt, lässt es schnell wieder bleiben. Beten ist überhaupt keine Kunst, sondern eher ein Handwerk. Ich möchte gerade das Äußere schätzen lernen, und das bedeutet: Immer zur gleichen Zeit, am selben Ort und sogar mit immer gleichen Worten beten; nicht auf Erfüllung aus sein, sondern einfach durchhalten. Und wenn es nicht gelingen will, dann nehme man sich trotzdem die Zeit und tue weiter nichts. 

Ich habe mich immer schon gefragt, warum auch „moderne“ Menschen in alten Kirchen so schnell zur Ruhe kommen. In manchen Innenstadtkirchen treffe ich erstaunlich viele Menschen, die einfach nur da sind, vielleicht sogar beten. Warum? Weil die „Wände“ einfach so viel an Glauben, an Geschichte, an Erfahrung „atmen“, dass es von selbst anfängt, in einem zu beten. Man setzt sich einfach hinein, und schon betet es in einem. Weil Zeit und Ort „stimmig“ sind, findet auch das Herz ein Zuhause. 

Die äußere Ordnung des Betens trägt – wie in jeder Beziehung. Diese äußere Ordnung ist der Normal- und Ernstfall des Betens, der den Glauben lebendig hält und den Alltag vor Banalität bewahrt. Demgegenüber ist das Stoßgebet, jedenfalls als einzige und isolierte Gebetserfahrung, problematisch, weil es Gott meistens für Alltagsprobleme missbraucht.

Es gibt einige Regeln, wie man von außen nach innen beten kann:

  1. Fange klein und bescheiden an: keine allzu großen Vorsätze.
  2. Unser Gebet braucht eine feste Zeit und einen festen Ort.
  3. Treue ist wichtiger als Erfüllung – nur nach Lust und Laune geht es nicht. 
  4. Beten kann langweilig sein, weil es mit lernen zu tun hat; was man noch nicht kann, fällt schwer, und wenn man es dann kann, fällt es leicht. 
  5. Eine feste Form entlastet. Gesten, Formeln und kurze Sätze soll man auswendig können. 
  6. Wenn man nicht beten kann, soll man es bleiben lassen. Weil aber das Gebet verletzlich ist und jeder anderen Beschäftigung schnell geopfert wird, soll man den Raum und Zeit dafür frei lassen – und einfach weiter nichts tun. 

Beten ist keine Kunst, sondern eher ein Handwerk.
Die äußere Form, die regelmäßige Übung geben meinem Glauben ein Dach über dem Kopf. 

Dass diese äußere Form, die Ordnung des Betens auch mit Gewohnheit zu tun hat, ist überhaupt kein Problem. Wichtig ist immer die Freiheit, denn ohne Freiheit ist keine Beziehung möglich. Die Ordnung trägt, auch wenn sie zur Gewohnheit geworden ist: Ich „wohne“ dann in Gottes Gegenwart, bis ich „heimisch“ bin in Seinem Geheimnis. Gewohnheit ist alles andere als gewöhnlich oder nur äußerlich. So wie ein Gebirge die Summe von Bergen ist, so ist eine Gewohnheit die größtmögliche Gesamtheit von Wohnen und ein Geheimnis die weiteste Vorstellung von heimisch sein und Heimat haben. Je mehr ich mir das Beten zur Gewohnheit mache, desto mehr bin ich im Geheimnis Gottes zu Hause.

Erst wenn die Ordnung zwanghaft ist, wird sie abstoßend. Verliebte küssen sich hoffentlich gewohnheitsmäßig, aber niemals zwanghaft; zum Küssen gezwungen zu werden könnte ziemlich widerlich sein. Wenn die Beziehung stimmt und die Freiheit steht, sind Gewohnheit und Ordnung eine große Entlastung. Nur was ich immer wieder in Freiheit tue, prägt mich von Herzen, durch und durch. Zum Glauben und Beten darf niemand gezwungen, aber es kann zur guten Gewohnheit werden.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Donnerstag, 26. März 2020

Kleine Gebetsschule XI: Beziehung im Heiligen Geist

Es gibt im Neuen Testament einige Gebetsschulen (vgl. Matthäus 6,5-15; 7,7-11; Lukas 11,1-4). Jesus fordert seine Jünger auf, zu beten in Seinem Namen, Gott jede Bitte offen und vertrauensvoll zu sagen (vgl. Matthäus 18,19; Johannes 14,13-14; 15,7.16.24) und dabei gewiss zu sein, dass Gott hört und erhört um Jesu und der Gemeinschaft der Jünger willen.

Sogar das schier Unmögliche scheint möglich zu werden: Mit dem Glauben Berge zu versetzen (vgl. Markus 11,12-25; Matthäus 21,18-22): Der „Berg“ steht dabei (wie der Feigenbaum) für den Tempelkult, der eben nichts mehr bringt, weil Jesus selbst der der einzige und wahre Zugang zum Vater ist. Mit dem „Berg“, den der Glaube versetzen kann, ist dann der Tempelberg in Jerusalem gemeint, den der Glaube ins Meer stürzt; es ist ja der „Berg der Religion“, der durch Christus längst überwunden ist. Hier geht es also nicht um die Zauberkraft, Berge zu versetzen, sondern um die Einladung zu glauben! Jesus hält seinen Vater nicht für einen wundertätigen Wünscheerfüller, den man benutzen kann, sondern für einen Gott, dem man vertrauen darf; ein Gott, der nicht bloß Bitten erfüllt, sondern erfüllende Beziehung schenkt.

Es ist wie mit einem Kind, das zu Weihnachten einen langen Wunschzettel schreibt. All die vielen Wünsche sind detailgetreu aufgelistet. Die Eltern lesen den Zettel, aber weil sie sehr arm sind, sagen sie zu ihrem Kind: „Du weißt, dass wir dir deine Wünsche nicht erfüllen können. Aber wir sind doch immer bei dir und haben dich lieb. Ist das nicht viel mehr?“ Und das Kind antwortet voller Einsicht und Freude: „Ja!“

Der lange Wunschzettel ist ein Zeichen kindlichen Vertrauens. Doch das, was die Eltern geben können, ist viel mehr: Beziehung und Liebe. Gott hört alle unsere Wünsche gern, sie sind ein Zeichen kindlichen Vertrauens. Es wäre jedoch grausam, wenn Gott auf alle menschlichen Wünsche, die ihm je entgegen gebracht werden, mit genauer Erfüllung reagieren würde. Dann wäre Er nur ein Automat und die Menschheit bald am Ende. Nein, Gott antwortet mit einer viel größeren Gabe: mit Liebe, Beziehung, mit Seinem Heiligen Geist.

Einen guten Freund um etwas zu bitten ist immer ein Zeichen von Beziehung. Die Freundschaft muss sehr tiefgehend sein, denn im Bitten mache ich mich vor ihm bedürftig und klein. Gott um etwas bitten bedeutet letztlich immer, Beziehung zu wünschen; bedeutet vor allem: Bitten um den Heiligen Geist, die Nähe Gottes in Person, Seine begeisternde und lebendig machende Kraft, Seine schöpferisch-österliche Gegenwart in dieser Welt.

Gott ist ein Jemand, ein personales Du. Sein Sohn wird in Jesus Christus Mensch, lebt als Mensch unter uns und eröffnet durch sein Sterben und Auferstehen den Weg zu Gott zurück. Der Heilige Geist ist die noch radikalere Nähe Gottes, ist geschenkte Beziehung: Gott wird nicht nur Mensch, er wohnt im Herzen eines jeden. „Gott ist mir näher als ich mir selber bin“ (Meister Eckart). Wenn ich also im Namen Jesu bete, dann geschieht mein Gebet bereits „in“ Gott: Er wohnt ja in mir, Sein Mensch gewordener Sohn steht mir zur Seite und vermittelt mein Gebet, Gott-Vater hört mich, weil Er sich ja immer auch selbst hört in Seinem Sohn, in Seinem Geist.

Und noch mehr: Nicht nur, dass mein Beten „in“ Gott geschieht, Gott betet auch „in“ mir!  Paulus schreibt: „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ (Römer 8,26). In dieses Wort berge ich all mein Beten, weil es mir zeigt: Schon mein Glaubenwollen, mein Vertrauenwollen, mein Sein vor Gott sind Gebet, weil Gottes Heiliger Geist in mir lebt und für mich spricht.    

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Kleine Gebetsschule X: Beten im Namen Jesu

Gott hat Seinen Sohn gesandt, Jesus Messias, den Bruder der Menschen. In Seiner Auferstehung hat Gott Ihn erhöht zum Herrn über Himmel und Erde. So ist Jesus Bruder und Herr zugleich. Christen beten deshalb durch Christus und mit Ihm und in Ihm zum Vater.
Christen beten durch Ihn, weil Christus unsere Gebete mitnimmt zum Vater. Sie beten mit Ihm, weil Er ihnen zur Seite steht, mitbetet mit ihnen; Er macht ihre Not zur Sorge Gottes. Sie beten in Ihm, weil sie als Sein Leib und Seine Kirche, in Seiner Gestalt, zusammengefügt in Seinem Geist vor dem Vater stehen.

Christliches Beten geschieht in Gott, weil Jesus Christus der Mittler ist und weil die Gemeinde im Heiligen Geist versammelt ist. Wegen dieser unmittelbaren Verbundenheit durch, mit und in Christus sind sich Christen bewusst, dass Gott, der Vater, ihre Gebete hört; wie könnte Er auch an Seinen Kindern, an den Geschwistern Seines Sohnes vorbeisehen, ihre Anliegen und Bitten überhören? So bete ich im Vertrauen. Immer jedoch gilt: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ (Lukas 22,42).


GEBET ZUM VATER

Vater im Himmel,
durch unseren Herrn Jesus Christus,
mit Ihm und in Ihm beten wir,
hören wir Dich und sprechen zu Dir.

Ihm glauben wir Dich, Seinen Vater.
Er macht unsere Not zu Deiner Sorge,
hört, was wir beten, stellt sich vor uns,
spricht mit, was wir sagen.
Er ist neben uns, in uns,
und deshalb beten wir durch Ihn.

Er ist Dein Geschenk für uns,
unser Weg zu Dir,
Mittler der Befreiung,
Ende aller Angst,
Anfang des Glaubens.

Menschen sind wir wie Er,
tragen als Christen Seinen Namen,
sehen die Welt mit Seinen Augen,
lieben die Menschen mit Seiner Zuwendung,
sprechen zu Dir mit Seinen Worten,
nennen Dich Vater um Seinetwillen,
feiern Dich mit Seinen Zeichen,
bitten mit Ihm, dass Dein Wille geschieht
und vertrauen Dir ganz mit Seinem Glauben.

Und Du, Vater, nimmst uns an wie Christus.
Und wir, Vater, dürfen uns sehen, wie Du uns in Christus siehst.
Unfassbar ist dieses Geheimnis.
So danken wir Dir und beten Dich an.


Bis morgen!
Stefan Jürgens

Mittwoch, 25. März 2020

Kleine Gebetsschule IX: Wie Jesus betet

Ich glaube Jesus seinen Gott. Das klingt wie falsches Deutsch, so als sei der Dativ wirklich dem Genitiv sein Tod. Ich meine es aber anders. Ich glaube ihm, Jesus, seinen Gott! Ich glaube, dass Gott so ist, wie Jesus Ihn zeigt. Und wenn das Gebet der erste Ausdruck des Glaubens ist und wenn Jesus derjenige ist, der einen befreiten Glauben erst möglich gemacht hat – ohne diese "naturreligiöse" Angst –, dann kann ich am Beten Jesu lernen, wie Beten geht.

Auch Jesus musste glauben lernen. Er ging durch die Schule seiner jüdischen Tradition. Darin fand er einen reichen Schatz an Gebeten, an Weisheit, an guten Gedanken von Gott. In einem jedoch ging er in seiner Gotteserfahrung über das Gelernte hinaus: In der unmittelbaren Beziehung zu Seinem Gott, den er von jetzt an Vater nennt, ja noch mehr: Abba, lieber Vater, oder besser übersetzt: Papa (vgl. Markus 14,36; Römer 8,15; Galater 4,6). Eine enge, faszinierende, intime Beziehung zu Gott, gelebt mit einer großen inneren Freiheit. In dieser freien geschenkten Gottesbeziehung leben auch wir – als Kinder Gottes, als Schwestern und Brüder Jesu Christi.

Was es bedeutet, Kind zu sein, mache ich mir manchmal so bewusst: Eltern wissen von ihrem neugeborenen Kind nur wenig. Sie wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist, ob es gesund ist oder nicht. Sie wissen, dass es ab und zu die Windeln voll macht und regelmäßig Hunger hat. Und dass es irgendwann, nach einem hoffentlich erfüllten Leben, sterben wird. Ziemlich wenig wissen die Eltern von ihrem Kind, und doch lieben sie es über alles. Kindsein bedeutet: Geliebt sein um meiner selbst Willen, angenommen sein, weil es mich gibt – ohne Bedingung und ohne Vorleistung. Kind Gottes sein bedeutet eben dieses: Geliebt sein um seiner selbst Willen, angenommen sein, weil es mich gibt – ohne Bedingung und ohne Vorleistung. Gott liebt mich über alles. Er liebt mich weit mehr als Eltern das können: Er gibt sich selbst, Sein Leben, er gibt Seinen Sohn für mich. Wie sollte ich da nicht glücklich, angstfrei, in aller Freiheit, engagiert und selbstvergessen leben?

Der Apostel Paulus spricht vom Kindsein im Bild vom Erbe. Ein Erbe bekommt alles umsonst geschenkt, wenn er ein Verwandter ersten Grades ist. Er muss nichts dafür tun, es gehört ihm alles schon, einfach weil er Kind ist. „Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir mit Ihm leiden, um mit Ihm auch verherrlicht zu werden“ (Römer 8,17). Ich bin und bleibe Kind Gottes, Erbe Gottes mit Christus; ich habe beim Vater dieselbe „Stellung“ wie Sein Sohn Jesus Christus – in aller Konsequenz. Deshalb bete ich als Christ immer im Namen Jesu.

Jesus selbst zieht sich immer wieder zurück, wenn Er betet, oft nächtelang. Er betet und lehrt Seine Jünger das Beten. Er betet still und frei, kennt aber auch den Gebetsschatz Seines Volkes. Noch am Kreuz betet Er Psalm 22, um sich in schwerstem Leid mit bekannten Worten Seinem Vater anzuvertrauen: Beten ist Vertrauensarbeit auch für Ihn.

Einmalig ist dabei Seine unverwechselbare, geradezu intime Beziehung zu Seinem Abba-Vater. Und Seine Solidarität mit Seinen Jüngern. Zwar ist das so genannte Abschiedsgebet des Herrn (das „Hohepriesterliche Gebet“ Johannes 17) eine theologische Komposition, aber die Haltung, mit der hier Jesus für seine Jünger zum Vater betet, spricht für sich – und für Ihn.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Dienstag, 24. März 2020

Kleine Gebetsschule VIII: Den Himmel bestürmen?

Worum können wir bitten? Papst Franziskus hat dazu aufgerufen, am Mittwoch um 12 Uhr ein Vaterunser zu beten. Wegen Corona. In den „Tagen der Prüfung“ sollen wir „unsere Stimmen zum Himmel vereinen“, so der Papst. Und am Freitag gibt es „Urbi et Orbi“ mit vollkommenem Ablass. Das volle katholische Programm, um den Himmel zu bestürmen? Auf jeden Fall ist es eine Möglichkeit, im Glauben Solidarität zu zeigen.

Denn das Bittgebet ist das einfachste und zugleich schwierigste Gebet. Es ist einfach, weil ich genau weiß, was mir fehlt. Es ist schwierig, weil ich Gott nicht zum Lückenbüßer, zum Erfüllungsgehilfen meiner privaten Interessen machen darf. Im antiken Theater gab es einen, der hatte „Gott“ zu spielen, wenn eine Situation unlösbar schien; dieser „Gott“ kam überraschend und ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der Handlung aus der Kulisse hervor, sagte ein Wort oder machte ein Zeichen und verschwand dann wieder. Von daher nannte man ihn den „deus ex machina“ – einen „Gott aus der (Theater)Maschine“. Viele Menschen machen auch aus dem Gott Jesu Christi einen solchen „deus ex machina“, und zwar immer dann, wenn er nur helfen, aber nichts ändern soll; wenn er vorübergehend eingreifen und Wünsche erfüllen, aber zum eigentlichen Leben nichts beitragen darf; wenn man ihn beziehungslos, wie eine Maschine benutzt, ohne ihn zu lieben. Ein solcher „Gott“ ist gefährlich harmlos!

Kennzeichnend für einen „modernen“ und „aufgeklärten“ Glauben ist ja der Perspektivwechsel, den Karl Rahner „anthropologische Wende“ nennt: Jede Aussage über Gott ist zunächst eine Aussage von und damit über Menschen. Unsere Rede von Gott ist analog, bildlich in menschlichen Vorstellungen, abhängig von Erfahrungen mit Ihm und miteinander. Wenn ich in diesem „modernen“ Sinn über das Bittgebet nachdenke, so ist die entscheidende Frage nicht: „Was bewirkt mein Gebet bei Gott?“, sondern: „Was bewirkt es bei mir?“ Gebete verändern nicht die Welt, aber sie verändern die Menschen, und Menschen verändern die Welt.

Worum also darf ich bitten? Um einen Lottogewinn? Um eine siegreiche Schlacht oder einen Karrieresprung? Um Regen, Blitzschutz? Um das Bestehen einer Prüfung? Viele bitten um Gesundheit und langes Leben. Wie steht es mit der Solidarität? Unlauter ist jedes Gebet auf Kosten anderer, menschlich sehr verständlich ist jedoch der Hilfeschrei aus tiefer Not. Auf jeden Fall gilt: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine“ (vgl. Lukas 22,42). Bitten darf ich um das, was ich jedem wünsche (Brot, Frieden) und um das, was ich selbst zu geben bereit bin (Vergebung), um die richtige innere Haltung („Mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens“) sowie um das, was nur Gott allein geben kann (ewiges Leben).

Wenn ich die Frage stelle, ob man Gott eigentlich alles sagen darf, so antworten die meisten Menschen: ja. Ich bin da anderer Meinung. Überall da, wo man Gott nur benutzt, wo er zum Glücksautomaten „ex machina“ wird, wo das Gebet zur magischen Beschwörung, zum Ersatz eigenverantwortlichen Handelns verkommt oder göttliches Benehmen vorschreibt, da wird der Name Gottes missbraucht.


BETEN UND BITTEN


Gott lässt bitten – 
und wir sind gekommen!

Meistens kommen wir mit einer großen Portion Bitte
und einer kleinen Prise Dank.
Beten ist meistens Bitten, schon etymologisch.
Der unaufgeklärte Mensch bittet, wenn er betet.

Was macht Gott mit unseren Bitten?
Er macht uns dankbar.
Im Bitten spüren wir, dass wir die Empfänger sind – und nicht die Macher.

Bitten ist nicht Information Gottes.
Bitten hält uns selbst in Form.
Wir erkennen, dass alles Gute von Gott kommt.

Darum sollen wir bitten: 
dass Gottes Verheißungen in Erfüllung gehen 
und Sein Wille geschieht.

Wenn wir das tun,
werden wir dankbar – und am Ende wunschlos glücklich.

In einer reifen Gottesbeziehung wird aus Bitten Beten.
Und wenn Gottes Verheißungen im Blick sind, 
wird das Beten zum Lobpreis, zum Gebet.


Bis morgen!
Stefan Jürgens

Montag, 23. März 2020

Kleine Gebetsschule VII: Nicht religiös, sondern gläubig

Als Christin und als Christ zu beten heißt:
Mit beiden Beinen auf dem Boden stehen
und mit ganzem Herzen bei Gott sein.

Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Religion und Glaube:
Der religiöse Mensch will seinem Gott etwas geben, damit er etwas zurückbekommt.
Der gläubige Christ vertraut darauf, dass ihm mit Christus bereits alles geschenkt ist.
Der eine will etwas haben von Gott, der andere will jemand sein vor Ihm.

Der religiöse Mensch will Segen und Glück, Gesundheit und langes Leben.
Dafür ist ihm kein Ritual zu lang und kein Opfer zu viel.
Er will seinen Gott gebrauchen, seine Religion soll nützlich sein.
Der gläubige Christ weiß, dass er von Gott gesegnet ist;
Gesundheit, Glück und Leben kommen aus Seiner Hand.
Deshalb dankt er zuerst für Gottes Liebe und fragt nach Seinem Willen.
Er vertraut dem Vater Jesu Christi, sein Glaube ist eine Haltung.

Als Kinder bitten wir um ein Wunder.
Als Erwachsene arbeiten wir mit am Aufbau des Reiches Gottes.
Nicht kindisch, sondern kindlich vertrauen die Christen. 
Ihre Hoffnung aber ist erwachsen.

Not lehrt beten, sagt der Volksmund. Aber das stimmt nicht.
Not lehrt nicht beten, sondern allerhöchstens betteln.
Wenn man gar nicht mehr weiter weiß,
dann bettelt man beim Allerhöchsten.

Ein reifer Glaube ist das nicht. Es ist vielleicht ein Anfang.
Es ist Religion: unerwachsen, kindisch, auf Nützlichkeit bedacht.
Ein reifer Glaube will nicht, dass Gott die Naturgesetze aufhebt
oder wunderbar ins Weltgeschehen eingreift.
Ein reifer Glaube hilft, das Leben zu bestehen, hier und jetzt in dieser Welt.
Gebet bedeutet dann Beziehung, Lebenssinn, Solidarität.

Ein Kind bittet: „Lieber Gott, mach, dass es morgen nicht regnet.“
Ein Erwachsener betet: „Lebendiger Gott, gib uns Kraft für einen guten Tag.“
Ein Kind bittet: „Lieber Gott, bring uns sicher nach Hause.“
Ein Erwachsener betet: „Heiliger Gott, begleite uns mit dem Geist der Aufmerksamkeit.“
Ein religiöser Mensch fragt: „Warum hast Du das nur zugelassen, Gott?“
Ein gläubiger Christ vertraut: „Mit Dir werde ich mein Leben bestehen, komme, was kommt.“

Als Kinder beten wir zum „lieben Gott“.
Als Erwachsene merken wir, dass uns Gott in dieses Leben stellt.
Als Christen vertrauen wir so, als ob alles von Gott abhinge.
Aber wir handeln so, als ob alles von uns selbst abhinge.

Die Entscheidung für Christus ist uns wichtiger als das religiöse Gefühl.
Wir wollen nicht nur fromm tun, ab und zu,
sondern Christen werden, immer neu.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Sonntag, 22. März 2020

Kleine Gebetsschule VI: Glauben ist Empfangen

 
Der religiöse Mensch
sucht unablässig das Göttliche
und findet doch nur
eine Projektion menschlicher Wünsche.

Der gläubige Christ
lässt sich von Gott finden
und begegnet in Christus
Seinem menschennahen Vater.

Der Religiöse redet unablässig
und handelt ängstlich mit „Gott“,
der Gläubige hört den Vater Jesu sprechen
und handelt in Seinem Namen.

Der eine opfert, der andere gibt sich hin.
Der eine strengt sich an, der andere liebt.
Der eine ist ein Sklave, der andere ist frei.
Die Liebe tut stets das Größere.


Im Christentum gibt es dennoch viele, die sind eher religiös als gläubig. Sie meinen, Gott gnädig stimmen zu müssen durch fromme Pflichterfüllung. Immer haben sie ein schlechtes Gewissen, bleiben ständig ungenügend, können Gnade und Vergebung nicht annehmen und bleiben zeitlebens ängstlich um ihr Leben besorgt. Immerzu hadern sie mit ihrem Schicksal und vermuten dahinter eine prüfende oder sogar strafende Macht. Sie glauben an ein allmächtiges Wesen, an einen Naturgott, der sich mit den Mächtigen arrangiert, nicht aber an den Gott Jesu Christi, der seine Allmacht in Güte und Liebe, ja in der Ohnmacht des Kreuzes offenbart. Die eigene Nationalität, die eigene Familie und das eigene Glück sind für sie eher Gegenstand religiösen Handelns als die universale Nächstenliebe des Glaubens. Ihre natürliche Religion ist wie eine Ideologie auf ihr Leben gesetzt, ohne es wirklich durch und durch menschlich zu prägen. Ständig fragen sie: „Was habe ich davon, was kriege ich dafür?“, weil ihre Religion wenig mit liebender Beziehung zu tun hat, sondern sich direkt bezahlt machen muss. Wenn’s besonders ernst, gefühlvoll oder feierlich zugehen soll, dann sondern sie Frömmigkeit ab wie ein stinkendes Sekret, das gar nicht zum Leben gehört. Wenn sie ein geistliches Amt haben, pochen sie auf ihre Andersartigkeit und Vollmacht und gebärden sich damit eher wie naturreligiöse Schamanen, magische Zauberer und autoritäre Chefs, nicht aber wie Repräsentanten (Darsteller) Christi und der kirchlichen Gemeinschaft: Klerikalismus ist Schamanismus.

Religion ist ein natürliches Bedürfnis, denn jeder Mensch sehnt sich nach Transzendenz. Glaube jedoch ist übernatürliche Offenbarung – dass Gottes Sohn Mensch wird und uns durch Tod und Auferstehung erlöst, kann sich niemand ausdenken, danach kann sich niemand sehnen, es ist und bleibt das absolut unwahrscheinliche Geschenk. Die der Religion ständig innewohnende Angst, nicht zu genügen, ist in Christus überwunden, Er allein ist der Weg zu Gott. Zwar muss ich religiös sein, um gläubig werden zu können: Auf meine natürliche Sehnsucht nach Gott antwortet Er mit Seinem Sohn, damit ich mit meinem Leben antworten kann auf Ihn. Diese natürliche Sehnsucht ist ja auch schon ein Geschenk des schöpferischen Gottes („übernatürliches Existential“, Karl Rahner). Aber ich darf nicht in der Religion stecken bleiben, wenn ich die Liebe begreifen will, die mir geschenkt ist; meine „natürliche“ Sehnsucht möchte in Christus „kultiviert“ werden, ein Ziel und eine Erlösung finden. Mit einem Wort: Mein Glaube muss aus den Kinderschuhen des Religiösen heraus wachsen, hinein in eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus. Sonst lerne ich das Beten nie.

Der Abbruch der volkskirchlichen Tradition mit ihrer Unterschiedslosigkeit von anständigen Bürgern und braven Christen, mit ihren erzieherischen Gottesbildern und ihrer behaglichen Christentümlichkeit hat sicherlich auch damit zu tun, dass diese Volkskirche, obwohl gesellschaftlich sehr erfolgreich und mit großer Breitenwirkung, außer in ihren mystisch-spirituellen Eliten über eine nützlich-magische Leistungs- und Naturreligion zu allermeist nicht hinausgekommen ist. Der Abbruch fragloser traditioneller Folklore kann Aufbruch bedeuten, Chance für einen Glauben ganz von Christus her: religionsloses statt religiöses Christentum. Nach der institutionell-kirchlichen Breitenwirkung ist jetzt wohl die existentiell-christliche Tiefendimension dran, die Neuentdeckung Jesu Christi für Glaube, Gebet und Kirche.

Das kommt in einer biblischen Geschichte gut zum Ausdruck. Ich nenne sie gerne „das Evangelium vom pastoralen Realismus Jesu“, weil die Relation „neun zu eins“ im Verhältnis von Religion und Glaube, von Pflicht und Liebe, von alter Angst und neuer Freiheit ziemlich realistisch ist:

Auf dem Weg nach Jerusalem zog Jesus durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa.
Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern! Und während sie zu den Priestern gingen, wurden sie rein.
Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu zu Boden und dankte ihm. Dieser Mann war aus Samarien.
Da sagte Jesus: Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen (Lukas 17,11-19).

Diese Geschichte wird oft moralisch gedeutet: Neun sind böse und undankbar, nur einer ist so anständig und dankt Jesus. Dabei wird vergessen, dass ja alle zehn gesund geworden sind, keiner wird wieder krank. Sie haben also alle eine gute Erfahrung gemacht. Der Unterschied ist vielmehr: Die neun sind religiös – sie tun ihre Pflicht, erfüllen die gegebenen Vorschriften, zeigen sich den Priestern, bekommen, was sie wollen und sind verschwunden. Der eine wird gläubig – als Geheilter kehrt er sofort um, dankt Jesus und nimmt eine Beziehung zu Ihm an und auf. Die Liebe ist ihm wichtiger als die religiöse Pflicht. Die neun sind gesund, der eine ist heil geworden. 

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Freitag, 20. März 2020

Kleine Gebetsschule V: Das Ende der Religion

Jesus ist das Ende der Religion und der Anfang des Glaubens (vgl. Römer 10,4; Galater 5,1). Selbstverständlich ist das Christentum soziologisch gesehen eine der großen Weltreligionen. Es geht ja, bei aller Unterschiedlichkeit, um Göttliches oder um Gott (aber nicht immer um denselben), und es gibt in vielen Religionen die Mystik als ein Umfangenwerden vom Göttlichen. Aber theologisch ist Glaube das Ende der langen, schweren und doch vergeblichen Suche nach Gott, die man als Religion bezeichnen kann. Das hat nichts mit christlichem Hochmut oder der Abwertung anderer Religionen zu tun. Vielmehr geht es um eine Klarstellung des Christlichen. Wen der Begriff Religion dabei stört, der kann auch von Aberglauben, Fehlform des Glaubens oder von Zauber und Magie sprechen und sie dem Glauben an den Gott und Vater Jesu Christi gegenüberstellen. „Religion ist Unglaube“ (Karl Barth), weil sie ein Machwerk von Menschen ist, sich Gott gefügig zu machen, anstatt sich lieben zu lassen und zu lieben.

Für das Gebet ist die Unterscheidung zwischen Religion und Glaube sehr hilfreich. Denn Religion (religio = Rückbindung) war ursprünglich die pflichtgemäße Unterwerfung unter den antiken Staatskult. Die dazugehörigen Opfer dienten dazu, die Loyalität mit dem Staat, mit dem göttlichen Kaiser zum Ausdruck zu bringen. Die frühen Christen lehnten diesen Staatskult ab; die galten als Atheisten, weil sie dem Kaiser nicht opferten. Religion ist also funktional zweckorientiert, Glaube ist personal beziehungsorientiert. In der Religion geht es um Pflicht, im Glauben geht es um Liebe, auf „Du und Du“ mit dem Gott Jesu Christi.

In der Religion zählt, was der Mensch tut, um Gott gnädig zu stimmen: Leistung, gute Taten, Opfer. Im Glauben antwortet der Mensch auf das, was Gott an ihm tut: Erlösung, Gnade, Hingabe. Und er antwortet darauf mit einem Leben aus dem Glauben. Die Religion fordert: „Rette deine Seele“, der Glaube befreit: „Du bist erlöst“. 

Religionen sperren ihre Götter in Tempel ein und machen Kult, also menschliches Tun, um mit „Gott“ zu handeln. Der christliche Gottesdienst ist nicht Kult, sondern Liturgie: Wir feiern, dass Gott an uns gehandelt hat und was uns durch Christus längst geschenkt ist: Erlösung. Dabei ist der religiöse Kult immer magisch, weil er von „Gott“ etwas erzwingen will, und die christliche Liturgie immer sakramental, weil sie auf der Ebene von Zeichen eine personale Beziehung zum Ausdruck bringt: Es geht um Dialog, nicht um Beschwörung; es geht um Gottes Dienst an den Menschen, die Ihm dienen in der Welt, nicht darum, sich Gott zu Diensten zu machen.


NAH UND FERN

Die Götter der Religionen
sind unendlich fern.
Der Gott Jesu Christi 
ist unendlich nah.

Die Götter sind 
unerreichbar weit weg.
Der Gott Jesu Christi
ist unerreicht nah.


Und was bedeutet Erlösung? Der Apostel Paulus sagt, dass wir durch Tod und Auferstehung Jesu Christi vor Gott gerechtfertigt sind (vgl. Römer 3,21-26; Galater 2,16; 5,5-6). Das heißt, dass wir keine Sorge darum haben müssen, wie wir vor Gott dastehen. Ich muss mich nicht vor Ihm rechtfertigen, mich bei Ihm nicht selbst beliebt machen, sondern bin von Ihm aus Liebe gerechtfertigt, nicht durch Leistung; ich habe Ansehen, weil es mich gibt, und nicht, weil ich gut und fromm bin: Gott sieht mich, wie Er Christus sieht. Er selbst hat mich befreit – von der Last der Religion (vgl. Matthäus 11,25-30), von der alten Angst, nicht zu genügen oder mir den Himmel selbst verdienen zu müssen. Der religiöse Mensch will sich vor „Gott“ irgendwie absichern, der gläubige vertraut darauf, dass ihm in Jesus Christus allein die letzte Sicherheit längst geschenkt ist, und zwar nicht, weil er es verdient hätte, sondern einfach so, aus Liebe. Ich muss also nichts dafür tun, dass Gott mich lieben kann, was wäre das auch für ein „Gott“; aber wenn ich es begriffen habe, dann werde ich anders glauben, beten, handeln. Mit einem Wort: Wir kommen wirklich „alle in den Himmel“, wie der bekannte Karnevalsschlager meint, aber nicht, „weil wir so brav sind“ – das sind wir nämlich nicht –, sondern weil Jesus Christus unser Erlöser und Heiland ist. Wer seinen Glauben ganz und gar an diesem Christus festmacht, der ist in diesem Sinne gläubig, erlöst und befreit. Christsein bedeutet, sich um Christi Willen von Gott lieben zu lassen – nicht mehr und nicht weniger.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Gebetsschule IV: Christen beten anders

Vielen Menschen fällt es schwer, Gott als persönliches Gegenüber, als „Du“ anzuerkennen und anzusprechen. Wir leben in einer Zeit der „religionsfreundlichen Gottlosigkeit“ (J.B. Metz): Religion als Wellness für die Seele ist höchst willkommen, als kompensatorisches Freizeiterlebnis zum Ausgleich einer immer kälter werdenden Welt, die an Konsum, Technik und Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Wurde der Name Gottes über lange Zeit von den Mächtigen in Gesellschaft und Kirche herrschaftlich missbraucht, wurde Seine Liebe durch dunkle Bilder und erzieherische Maßnahmen entstellt, waren die kämpferischen Atheismen vielleicht Antworten auf eine Religion, die alles andere als Freiheit ausstrahlte, so kommt Religion heute scheinbar ganz ohne diesen Namen aus: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der auch der Gott Jesu Christi ist, hat in esoterischer Seelenverzauberung und inhaltsleeren wie orientierungslosen Egotrips keinen Platz mehr.

Wie komme ich wieder neu zum Glauben an den Gott, der mich zuerst geliebt hat und zu dem ich „Du“ sagen kann, zum Glauben an den Gott der Bibel? Denn nur in diesem Glauben kann ich wirklich beten. Mir hat dabei eine ganz neue Beziehung zu Jesus Christus geholfen; eine Beziehung, die mir gezeigt hat, was es bedeutet, Kind Gottes zu sein. Und eine Unterscheidung, die manche verblüfft und viele provoziert, die aber das entscheidend Christliche auf den Punkt bringt: die Unterscheidung zwischen Religion und Glaube. Ich bete zu Gott, dem Vater, als Sein geliebtes Kind – ganz eng an der Seite Jesu Christi, mit Ihm zusammen, durch Ihn und in Ihm.

Das Gebet ist der erste Ausdruck des Glaubens – in allen Religionen. Der Mensch wendet sich seinem Gott zu, mal naiv und magisch, mal aufgeklärt und mystisch. Und doch beten Christen anders: Denn Gott hat sich den Menschen zugewandt. Der Mensch antwortet auf diese freie Initiative Gottes, indem er glaubt, betet und handelt. Nicht der Mensch macht sich auf zu Gott – Gott macht sich auf zum Menschen. Das ist der entscheidende Unterschied auch im Gebet.

„Wie komme ich zu Gott? Wie kann ich den Berg erklimmen, auf dem „Er“ thront?“ Das ist die uralte Frage aller Religionen. Es geht darum, was ich tun muss, um „Gott“ irgendwie dingfest, brauchbar und nützlich zu machen. Als Antwort bot sich den Menschen über Jahrtausende an: das Opfer. Etwas Wichtiges wurde den „Göttern“ geopfert, damit sie einem gnädig seien; man handelte mit ihnen: Menschenopfer gegen Weltgleichgewicht, Tieropfer gegen Sündenvergebung, Naturgaben gegen Fruchtbarkeit und reiche Ernten, Gebete und gute Taten gegen Gesundheit und Wohlergehen; neuerdings bestimmte Meditations- und Entspannungstechniken gegen Glücksgefühl und Ausgleich vom Stress, kurz: religiöse Leistung gegen persönlichen Profit. Ein Kapitalismus ist das, in dem der, der mehr geben kann, mehr herausbekommt und über denen steht, die nicht so reich an Opfern, Gebeten und guten Taten sind; eine Frömmigkeit, die sich in Glück und Segen auszahlt. Dieser Kapitalismus sitzt noch heute in vielen Seelen und verbreitet religiöse Angst und religiöse Arroganz zugleich, je nachdem ob man zu „denen da unten“ oder zu „denen da oben“ gehört. 

Und er hat verheerende Auswirkungen auf das Gottesbild: Ein Gott, mit dem man handeln muss, ist nicht wirklich Gott; Er ist nicht liebend und frei, sondern ein von Menschen abhängiger Buchhalter von Opfern und Taten, ein mickriger Glücksautomat für menschliche Wünsche und Bedürfnisse, ein alberner Hanswurst, der nicht agieren, sondern nur reagieren kann – und vor dem man ständig Angst haben muss, nicht genug „eingezahlt“ zu haben.

Wie ich zu Gott komme, ist für das Christentum keine Frage mehr, denn in Christus ist Gott zu mir gekommen. Ich muss den Berg nicht mehr erklimmen, auf dem Er thront, weil Er in der Menschwerdung Jesu Christi selbst herunter gekommen ist, um mich in Liebe anzunehmen und zu erlösen. Der Berg der Religion – Gott selbst hat den Abstieg gewagt in der Menschwerdung Seines Sohnes, und in Seinem Tod und Seiner Auferstehung ist dieser Berg endgültig gesprengt worden, ein für allemal. Ich muss den Vorhang, der das Geheimnis Gottes verhüllt, nicht mehr durch eigenes Wissen und Tun zu lüften versuchen, weil er längst herunter gerissen ist durch Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus. Ich muss Ihm nichts opfern, nichts schenken; meine Gebete und guten Taten sind keine Bedingung für Seine Liebe, sondern ich selbst bin eine Antwort darauf: Ich gebe dann nicht „etwas“, um „etwas anderes“ herauszubekommen, sondern ich empfange Jesus Christus, um mich selbst zu geben. „Der Glaube kommt vom Hören“ (Römer 10,17), sagt der Apostel Paulus; Glauben hat also mit Empfangen und Weitergeben, nicht mit Produzieren und Belohnen zu tun. Für religiösen Kapitalismus und Leistungsdruck ist im Christentum kein Platz mehr, weil wir alle in Christus als Kinder Gottes, als Schwestern und Brüder bedingungslos und leistungsfrei angenommen sind. Das bedeutet nicht, untätig zu sein: Der Anspruch der Liebe ist immer größer als der Handel mit dem, was sich bezahlt macht; die Liebe bringt stets Größeres hervor als Berechnung, Schuldigkeit und Pflicht.

Bis morgen!
Stefan Jürgens