Dienstag, 5. Januar 2021

Die Synodale Sackgasse

„Es soll etwas geschehen, aber es darf nichts passieren“, lautet das geheime Motto des Synodalen Wegs. Dieser Weg wird wohl wie alle Diözesanforen und Dialogprozesse in einer römischen Sackgasse enden: „Schön, dass wir drüber gesprochen haben, wir hatten eine geistliche Atmosphäre“ – und wie die Floskeln nach dem Scheitern eines solchen Prozesses auch immer heißen mögen. Man will, gut ignatianisch, die Meinung des anderen retten, aber man tut dies meistens so lange, bis man selbst keine Meinung mehr hat. Es geht am Ende um nichts, es bleibt alles beim Alten, den Rest erledigt Rom. So bleiben alle Foren und Synoden aufwendige Sedativa, die nur dazu dienen, aufmüpfige Christinnen und Christen für eine gewisse Zeit ruhigzustellen. 

 

Der Anlass zum Synodalen Weg war die so genannte MHG-Studie. Diese hatte offenbart, dass beim sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche nicht nur persönliche Schuld, sondern systemische Ursachen eine Rolle spielen, allen voran die klerikalen Machtstrukturen. Was nicht ausdrücklich genannt wird, aber jedem Insider bekannt ist: Der Kindesmissbrauch gehört zu den Kollateralschäden der Frauenfeindlichkeit und des daraus resultierenden Pflichtzölibats, denn dieser führt individuell zu Verdrängung und strukturell zu fromm getarnten Seilschaften; er macht das klerikale System für unreife Persönlichkeiten geradezu attraktiv. 


Der Wirbel um den Kölner Kardinal, um das nicht veröffentliche Gutachten, den Maulkorb für die Studierendengemeinde und die Vertuschungsvorwürfe zeigt einmal mehr, dass auf mancher Kathedra hochgradig unreife Personen sitzen, die nur durch Anpassung in hohe Leitungsämter gekommen sind. Sie tun nach oben gehorsam, regieren nach unten autoritär und wirken dabei selbstgerecht und versponnen. Dass gerade sie jede Synodalität ausbremsen, dient allein ihrem Machterhalt. Ihre Freunde in Rom werden schon dafür sorgen, dass jeder Reformversuch scheitern wird. 

 

Zur gebotenen Entsakralisierung des Weiheamtes gehört auch, dass ein Bischof zurücktreten muss, wenn das Vertrauen in ihn zerstört ist. Ansonsten haben wir bald zu viele Hirten, die nur sich selber weiden (Ezechiel 34,2) und denen die Herde davonläuft.


Der Artikel ist am 5. Januar 2021 als Gastkommentar in "Kirche+Leben" erschienen.

Montag, 4. Januar 2021

Weihnachten im Lockdown

Mit Weihnachtsromantik konnte ich noch nie etwas anfangen, und das hat seinen Grund. Die biblischen Erzählungen über die Kindheit Jesu sind theologische Legenden, sie konstruieren den Anfang seines Lebensweges aus der Perspektive von Ostern und verwenden dabei Motive aus dem Alten Testament. Wahr daran ist: Jesus kommt von Gott! Christen aber warten gar nicht aufs Christkind, sondern sie erwarten Christus, der sie herausfordert zur Nachfolge. Es ist bedauerlich, dass Christen die Legenden so ausgiebig feiern, während sie die Bergpredigt ignorieren. 

 

Dennoch konnte ich die Weihnachtsromantik stets akzeptieren. Sie ist immerhin Ausdruck der Sehnsucht nach einer heilen Welt. Mag sie psychologisch eine kollektive Regression sein, die nach dem Kindchenschema funktioniert, so hat sie doch eine große Bedeutung für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Auch religiös unmusikalische Menschen fühlen sich angerührt und können einige Rituale mitmachen. Das Ganze ist furchtbar nett, aber erschreckend folgenlos, Tradition minus Inhalt gleich Folklore. Solange es ums Christkind geht und nicht um Christus, fehlt dem Christentum die prophetische Kraft, das Potential zum Aufrütteln und Infragestellen.

 

In diesem Jahr war alles anders. Eine große Zahl von Extra-Gottesdiensten musste kurzerhand wieder abgesagt werden. Die hohen Infektionszahlen ließen keine Veranstaltungen zu, bei denen die Abstands- und Hygieneregeln nicht mit letzter Sicherheit einzuhalten waren. Die evangelische Kirche hatte frühzeitig alles storniert, die katholische Nachbargemeinde zog kurzerhand nach. In meinen beiden Pfarreien blieben nur die Gottesdienste übrig, zu denen man sich langfristig anmelden musste. Dafür gab es eine ganze Menge von digitalen Angeboten, vom täglichen Adventskalender bis zu live gestreamten Gottesdiensten im Stundentakt. Die Kirche war präsent, wenn auch nicht als Gemeinde, sondern als Event.

 

Der Andrang bei den verbliebenen Präsenzgottesdiensten war überschaubar. Viele, die sich angemeldet und einen der wenigen Plätze ergattert hatten, blieben aus Angst vor Ansteckung weg. Und wohl auch aus vorauseilendem Kummer über das Gesangsverbot und die dadurch abgekühlten Weihnachtsgefühle. Die alternativen Angebote wurden jedoch gut angenommen, von der online bereitgestellten Hausandacht bis zum Video-Gottesdienst. Ganz ehrlich: Mir hat nichts gefehlt. Vielleicht, weil ich kein Romantiker bin, vielleicht, weil ich Theologe bin, nicht magisch, sondern aufgeklärt. Konkrete Menschen haben mir gefehlt, nicht aber der überfüllte Kirchenraum wie in den Jahren zuvor. Schmerzhaft war das Fernbleiben von vormals engagierten Christen, die sich 2020 enttäuscht von der Kirche abgewandt haben.

 

Im Dunkeln lässt sich heller träumen, erst die Sehnsucht macht die Dinge klar. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es nur die Sehnsucht nach Normalität ist, nach der regressiven Folklore, oder die Sehnsucht nach einer heilen Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden einander die Hand reichen. Das Christentum ist kein Beruhigungsmittel und keine Bühne für frommen Zauber, sondern eine Herausforderung. Gott geht weder auf Abstand noch in den Lockdown. Er ist da, ganz nah, menschlich und auf Augenhöhe.

 

Dieser Artikel ist am 31.12.2020 in der ZEIT-Beilage "Christ und Welt" erschienen.