Mittwoch, 19. Februar 2025

Differenzierte Gedanken zu einem schwerwiegenden Thema

Zur Suspendierung von Pastor M. aus Ahaus möchte ich folgendes zu bedenken geben:

 

1.     Die Transparenz des Bistums in der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs ist grundsätzlich vorbildlich.

 

2.     Es geht vorrangig um den Schutz der Betroffenen. Diese brauchen unsere Solidarität und Unterstützung, weil sie oft ein Leben lang leiden.

 

3.     Es war in unserem Bistum vereinbart worden, dass ein leitender Pfarrer bei der Investitur (Amtsübergabe) durch den Generalvikar informiert werden soll, falls es in seinem zukünftigen Pastoralteam Missbrauchsvorwürfe gegen eine Kollegin oder einen Kollegen gibt. Die Investituren für meine drei Pfarreien waren 2019 und 2022. Dabei habe ich jeweils eigens nachgefragt, ob etwaige Vorwürfe vorliegen. Dieses wurde verneint. Erst heute folgte die Begründung dafür: Die entsprechenden Verfahren waren noch nicht abgeschlossen. Es wäre dennoch allein für die Auswahl der pastoralen Arbeitsfelder hilfreich gewesen, von den Vorwürfen und Verfahren in Kenntnis gesetzt worden zu sein.

 

4.     Die Pressemitteilung des Bistums ist verwirrend und von daher vernichtend. Es ist nachvollziehbar, dass man aufgrund des Personenschutzes keine weiteren Einzelheiten nennen möchte. Dennoch wäre es sinnvoll gewesen, genauer zu differenzieren, allein um den Eindruck zu vermeiden, es handle sich um einen Pädophilen. Denn dies ist laut Aussage der Staatsanwaltschaft nicht der Fall. Die Pressemitteilung des Bistums öffnet weiteren Phantasien und Spekulationen Tor und Tür und schafft damit eine noch größere Verunsicherung.

 

5.     Bei allem Respekt vor der Präventionsarbeit des Bistums, der sich verändernden Haltung und den Institutionellen Schutzkonzepten, die auf Pfarreiebene erarbeitet worden sind, muss ich sagen: Die wirklich systemischen Ursachen des Missbrauchs (persönliche Unreife, Pflichtzölibat, klerikale Seilschaften, traumatisierende Binnenwelt des Priesterseminars) sind weltweit noch nicht angegangen worden. Die angekündigte Synodalität ist bisher nur ein frommer Wunsch.

 

6.     Insbesondere Pflichtzölibat und Klerikalismus spielen eine große Rolle. Durch den Zölibat wird niemand übergriffig. Aber aufgrund des Zölibats kommen leider auch Menschen ins Amt, die nicht beziehungsfähig sind oder Probleme mit ihrer Sexualität haben. Durch den Klerikalismus werden Strukturen aufrechterhalten, die Machtmissbrauch begünstigen.

 

7.     Solange diese strukturellen Ursachen nicht beseitigt sind, bleibt jeder Einzeltäter – bei aller gebotenen Transparenz, bei aller Priorisierung der Betroffenen, bei allem guten Willen – letztendlich doch auch sowohl Opfer als auch Profiteuer des Systems. Dieses System ist krank und es macht krank. Die katholische Kirche bedarf einer grundlegenden Reform.

 

Ahaus, 19. Februar 2025

Pfarrer Stefan Jürgens

Samstag, 8. Februar 2025

Freiheit und Demokratie

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im Grundgesetz. Und auf den ersten Seiten der Bibel lese ich: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild.“ Menschenwürde ist göttlich! Und Jesus lebt die universale Nächstenliebe. Ohne Grenzen.

 

Deshalb ist die Demokratie von allen Staatsformen die beste. Sie garantiert die gleiche Würde für alle, sie garantiert Freiheit und Vielfalt. Jede und jeder kann sich frei entfalten, sofern er niemand anderem schadet. Eine solche Freiheit jedoch braucht Verantwortung. Und ein waches Gewissen.

 

Selbstkritisch gebe ich zu: Meine Kirche ist keine Demokratie. Leider! Sie ist eine Monarchie, die im Feudalismus steckengeblieben ist. Als Christ und als Bürger jedoch mache ich mich stark für Freiheit und Demokratie. Beides stünde auch meiner Kirche gut an. Wir arbeiten dran.

 

Heute gibt es viele Tendenzen, die unserer Demokratie Schaden zufügen. Sie haben allesamt auch mit uns zu tun – wie wir denken und wie wir leben:

 

-       Da ist der Individualismus. Fast jeder steckt in seiner eigenen Meinungsblase fest. Die Debatte ist futsch, das Interesse am Ganzen geht verloren. Desinteresse jedoch führt zum Erstarken von Diktatoren, Oligarchen und Faschisten. Individualismus macht selbstbezogen. Das Gegenteil von Liebe ist: Gleichgültigkeit.

 

-       Da ist der Rückzug ins Private. Wer kennt noch seine Nachbarschaft, einen Verein, eine Initiative, eine Glaubensgemeinschaft? Dieser Rückzug ins Private bereitet Psychopathen und Narzissten den Weg an die Macht. Wir haben eine apathische Gesellschaft. Man zieht sich zurück. Man wird gleichgültig. Darum ist es gut, dass Sie alle heute hier sind, um dem etwas entgegenzustellen.


-       Da ist die Geschichtsvergessenheit. Sie birgt die Gefahr, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Wofür Generationen gekämpft und gelitten haben, das wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Freiheit braucht Verantwortung. Niemand kann sich deshalb erlauben, nicht zur Wahl zu gehen. Das Gegenteil von Liebe ist: Gleichgültigkeit.

 

-       Da ist die Dummheit. Allzu einfache Antworten auf komplexe Fragen. Populisten haben keine Lösungen. Keine einzige vernünftige Antwort! Stattdessen bieten sie Feindbilder. Sonst nichts! Sie möchten, dass wir ihre Feinde zu unseren machen. Es sind jedoch immer die Anständigen, die das Gute in der Welt bewirken.

 

-       Da ist schließlich die Angst. Sie führt zu Abgrenzung und Egoismus. Längst haben wir einen Krieg um Ressourcen, letzten Endes ausgelöst durch den Klimawandel. Wen wundert’s, dass gerade der Klimawandel von den antidemokratischen Kräften geleugnet wird. Es ist immer einfacher, die Schuld auf andere zu schieben, statt sich selbst zu ändern. 

 

Individualismus – Geschichtsvergessenheit – Angst.


Deshalb brauchen wir das Miteinander der guten Kräfte, den Schulterschluss der menschlichen Menschen. Über alle Partei- und Religionsgrenzen hinweg. Die guten Kräfte bündeln. Sich nicht heraushalten. Verantwortung übernehmen. Die Menschenwürde ist universal, sie gilt um Gottes willen. Und das Gegenteil von Liebe ist: Gleichgültigkeit. 


(Rede bei der Menschenkette des Bündnisses "Ahaus bleibt bunt" am 8. Februar 2025)

Samstag, 28. Dezember 2024

Weihnachten 2024

Spaltung und Depression. Das ist meine Wahrnehmung von Gesellschaft und Kirche heute: Spaltung und Depression. Wir spüren: Es könnte gefährlich werden in der Welt. Eine bleierne Schwere liegt auf allem.

 

Spaltung überall in der Welt: Wo eine Nation sich nur noch selber sieht. Wo man sich identifiziert, indem man sich abgrenzt. Wo ein Volk über ein anderes herfällt. Wo Kulturen unversöhnlich aufeinandertreffen. Wo Machtinteressen die anständige Politik untergraben.

 

Spaltung gibt es immer noch zwischen Mann und Frau, zwischen Gläubigen und Ungläubigen, zwischen Religionen und Konfessionen, zwischen Reichen und Armen, zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen; zwischen denen, die Ahnung haben, und denen, die lediglich zu allem eine Meinung äußern.

 

Im zweiten Psalm heißt es: „Warum toben die Völker? Warum machen die Nationen vergebliche Pläne?“ – Das ist genau unserer Zeit! Spaltung bedeutet: Die Extreme werden stärker, die Mitte verliert an Kraft. Der Konsens kommt zu kurz. Die Freiheit wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Es ist nicht zu fassen!

 

Es gibt aber auch eine Spaltung in uns, in mir: Die Gewissheiten sind dahin, die Solidarität, der Blick auf das Ganze schwindet. Man zieht sich zurück ins Private. Wir stumpfen ab. Was bleibt, ist Depression. Depression in Gesellschaft und Kirche. Hoffnungslosigkeit. Man lässt den Kopf hängen. Lethargie. Verzweiflung. Man kann ja doch nichts machen...

 

Stimmt das? Kann man nichts machen?

Doch! Gott macht es uns vor. Dafür steht Weihnachten.

 

Weihnachten bedeutet: Gott ist interessiert an uns (inter-esse) – er ist mitten dazwischen. Er hält sich nicht raus. Er wird Mensch – und überwindet die Spaltung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Er wird ein Kind – und zeigt, dass er die Lust an der Welt nicht verloren hat. Von Martin Luther wird das Wort überliefert: „Jedes Kind bringt die Botschaft mit sich, dass Gott seine Lust an der Welt noch nicht verloren hat!“ Um wie viel mehr muss das von seinem Sohn Jesus, dem Christ-Kind, gelten!

 

Gott überwindet die Spaltung, heilt die Depression, schafft die Einheit. Und wo ist er zu finden? „Gott wohnt, wo man ihn einlässt“, lautet ein chassidisches Sprichwort. „Wo die Güte und die Liebe, da wohnt Gott“, singen wir manchmal. Wo Liebe und Güte sind, da ist Gott! 

 

Gott überwindet die Spaltung und heilt die Depression: einfach, indem er Mensch wird. Sich nicht raushält. Nicht sagt: Man kann ja doch nichts machen. Wenn auch wir menschlich werden, dann haben wir Gott verstanden. Dann sind wir bei ihm (wie er immer bei uns ist).

 

Erich Fried schreibt: „Zu den Steinen hat einer gesagt: ‚Seid menschlich.‘ Die Steine haben gesagt: ‚Wir sind noch nicht hart genug.‘“ Das ist ein hartes Wort! Wenn wir menschlich werden wollen, müssen wir weich werden, berührbar, leidempfindlich (vulnerabel). Nicht mehr mitmachen beim Kampf aller gegen alle. Die Hände reichen statt Ellenbogen. Nicht: „Man kann ja doch nichts machen“, sondern: „Mensch werden!“

 

Spaltung und Depression sehe ich auch in der Kirche! Spaltung zwischen Reformern und Bewahrern, zwischen Ortsgemeinde und Weltkirche, zwischen Basis und Hierarchie, zwischen Verwaltung und Seelsorge. Zwischen wissenschaftlicher Theologie und amtlicher Macht.

 

Ich war im Kino (kommt selten vor). In dem Film „Konklave“ nach dem Roman von Robert Harris (lief in Ahaus, kriegt bestimmt bald einen Oskar). Ein Film um Macht und Intrigen. Am Beispiel des Vatikans und der Wahl eines neuen Papstes. Der Vatikan ist dabei wirklich nur ein Beispiel. Das Ganze ist nicht „typisch Kirche“, sondern „typisch Macht“ und „typisch Männer“!

 

Kardinaldekan Lawrence leitet das Konklave. Er macht einen guten Job. Aber er hat Glaubenszweifel. Und sagt ein wahres Wort: „Die größte Sünde unserer Zeit ist die Gewissheit. Gewissheit ist der Feind der Einheit. Gewissheit ist der Feind der Toleranz.“ Die Gewissheit sorgt dafür, dass man die eigene Meinung für die einzige hält und das Leben der anderen bekämpft. Gewissheit schafft Unheil. Deshalb wünscht Lawrence sich einen Papst, der den Zweifel kennt.

 

Tedesco, der Kardinal von Venedig, ein barocker und narzisstischer Typ, ist der Kandidat der Erzkonservativen. Er ruft zur Spaltung auf, zum Krieg der Religionen. Kardinal Bellini gilt als Kandidat der Liberalen. Er ist der Erzfeind von Tedesco und war ein Vertrauter des verstorbenen Papstes. Der konservative Kardinal Tremblay aus Kanada, der durch Intrigen und Stimmenkauf an die Macht will (Simonie), dabei aber auffliegt. Unter anderem durch die sehr mutige Schwester Agnes („Wir sollen unsichtbar sein, aber Gott hat auch uns Augen und Ohren gegeben“). Da ist noch Kardinal Adeyemi aus Nigeria, der zunächst viele Stimmen hat, als noch konservativer gilt als Tedesco, dann aber auffliegt wegen einer Affäre vor vielen Jahren. Ein Knick in der Biografie. Er wäre der erste afrikanische Papst geworden.

 

Ausgerechnet der Kardinal aus Kabul (Benitez), den keiner kannte, der nur im Geheimen ernannt worden war, ja, der biologisch Mann und Frau zugleich ist (wozu er nach vielen inneren Kämpfen stehen kann), der wird zum Papst gewählt. Gerade der Außenseiter bringt die Rettung, die Einheit, die Toleranz! Interessant: der Außenseiter. Nicht aus dem Zentrum der Macht. Nicht einer aus dem Zentrum der Intrigen. Wie bei Jesus, dem Außenseiter, dem Ohnmächtigen, dem Erlöser und Heiland!

 

Hören Sie mal einen Auszug aus Benitez‘ Rede. Sie ist die Antwort auf den von Tedesco beschworenen Krieg der Religionen): „Bei allem Respekt. Was wissen Sie vom Krieg? Ich habe mein Amt im Kongo ausgeübt. In Bagdad und Kabul. Ich habe die Reihen von Toten gesehen. Und Verwundete. Christen und Muslime. Wenn Sie sagen: „Wir müssen kämpfen!“ – Wogegen müssen Sie kämpfen? Meinen Sie, es sind die Verblendeten, die solche Gräueltaten verüben? Nein, mein Bruder. Das Böse ist in uns. Der Kampf findet hier statt – im eigenen Herzen. Sie sehen nicht die Menschen, Sie sehen nur sich selbst, Ihre Macht. Sie sehen nur Rom. Kirche, das ist nicht Tradition. Kirche ist das, was wir aus wir machen.“

 

Weihnachten bedeutet: Gott ist interessiert an uns – er ist mitten dazwischen. Er wird Mensch – und überwindet die Spaltung: zwischen Himmel und Erde und zwischen Gott und Mensch. Er wird ein Kind – und zeigt, dass er die Lust an der Welt nicht verloren hat.

 

Wenn wir menschlich werden, haben wir Gott verstanden. Menschlich werden, das können wir doch. Oder? Wenn wir menschlich werden wollen, müssen wir berührbar werden, leidempfindlich (vulnerabel). Nicht mehr mitmachen beim Kampf aller gegen alle. Die Hände reichen statt Ellenbogen. 

 

Augustinus sagt:

„Ihr seid die Zeit.

 Seid ihr gut,

 sind auch die Zeiten gut.“

Montag, 9. Dezember 2024

Das Ende der Monarchie

Monarchien funktionieren so lange, bis man hinter ihre Kulissen schauen kann. Nur bis zu diesem Punkt wird es den Untertanen möglich sein, zu ihren Machthabern aufzuschauen. Ist die Kulisse einmal weg, wird die Revolution nicht lange auf sich warten lassen. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Europa regierende Monarchien, seitdem gibt es nur noch repräsentative. Die Herrschenden hatten sich als unfähig erwiesen und sich geradezu lächerlich gemacht. Sie wurden durch Demokratien abgelöst und verschwanden schnell in der Mottenkiste der Geschichte. 

 

Weltliche und kirchliche Monarchen waren einmal durch göttliche Autorität legitimiert. Adelige fühlten sich bevorzugt, Kleriker erwählt. Dadurch standen sie über dem Gesetz und waren über jeden Zweifel erhaben. Sie konnten so viel Unsinn verbreiten, wie sie wollten: Gottesgnadentum oder Weihe verliehen eine unumstößliche Macht.

 

Die katholische Kirche ist eine absolutistische Monarchie. Sie wird regiert von Papst und Bischöfen, deren Autorität aufgrund der Weihe als unumstößlich gilt. Dadurch können sie so viel Schaden anrichten, wie sie wollen: Sie bleiben im Amt. Der Glaubenssinn des Gottesvolkes und der Synodale Weg sind ohne das Votum der Kirchenmonarchen keinen Pfifferling wert. Nichtgeweihte Katholiken bleiben abhängige Untertanen.

 

Durch die Gutachten zur sexuellen Gewalt kann die Weltöffentlichkeit mittlerweile hinter die klerikale Kulisse schauen. Die moralische Autorität ist dahin, die Glaubwürdigkeit der Hierarchie ruiniert, die fromm getarnte Inkompetenz einiger Mitraträger entlarvt. Sie beschädigen das Ansehen der Botschaft, die sie verkünden, und der Institution, für die sie stehen. Ein Schicksal wie dasjenige der letzten weltlichen Monarchen am Vorabend der Revolutionen. Die historische Parallele ist erschütternd. 

 

Christen sollen die Zeichen der Zeit sehen und darin das Wirken des Heiligen Geistes. Ob es höchste Zeit ist für wirkliche Demokratie in der Kirche, für zeitlich begrenzte Ämter, selbstverständlich auch für Frauen? Für ein Amt, das weniger ontologisch „von oben“ und mehr funktional „von unten“ begründet wird? Das als ganz normaler Beruf gilt, mit Berufung, aber ohne magische Überhöhung? Erst wenn Macht begrenzt ist, wird sie kontrollierbar. Die Kathedra wird moralisch weniger wackeln, wenn diejenige Person, die darauf sitzt, nach jeweils zehn Jahren zurücktreten muss. Der frische Wind, der dadurch entsteht, wird viele aufatmen lassen.

Werdet erwachsen!

Viele katholische Christinnen und Christen leiden an chronischer Unterwürfigkeit. Sie wurden in eine monarchisch verfasste Kirche hineingetauft und werden diese Prägung zeitlebens nicht mehr los. Steht eine Papstwahl an, so sagen sie: „Hoffentlich kriegen wir einen guten Papst, einen menschenfreundlichen und aufgeschlossenen.“ Wird ein neuer Bischof ernannt, so hoffen sie, „dass man einigermaßen normal mit ihm reden kann“, so als sei das schon etwas Besonderes. Selbst der neue Pfarrer darf „nicht so zugeknöpft“ daherkommen, er soll vielmehr „nahe bei den Menschen“ sein. 

 

Das ist einerseits verständlich, denn man möchte sich über die Leitungspersonen mit dem Ganzen identifizieren. Andererseits hat das klerikale Kirchenmodell keine Zukunft. Denn wer sich zeitlebens von Autoritäten her definiert, bleibt kindlich, und wer sich unentwegt an ihnen abarbeitet, kommt geistig über die Pubertät nicht hinaus. Infantile Christinnen und Christen brauchen Überväter, pubertierende suchen Sündenböcke für alles, was ihnen nicht passt, nur erwachsene haben Geschwister. Welche Bedeutung hat denn der Papst für den Glauben, also für die ganz persönliche Beziehung zu Gott? Keine! Und was kann ein Bischof allein wirklich verändern? Nichts! 

 

Ich selbst werde häufig danach gefragt, was ich vom Papst halte, wie ich zu Woelki stehe und warum meiner Meinung nach Marx so früh das Handtuch werfen wollte. Viel häufiger jedenfalls, als dass ich auf meine Erfahrungen mit Gott und meine Beziehung zu Jesus Christus angesprochen werde. Es gibt sogar Menschen, die treten wegen Woelki aus der Kirche aus, was ist das für eine infantile Abhängigkeit! Ein Mensch kann doch nur so viel Macht über mich haben, wie ich ihm gebe, er kann nur so wichtig sein, wie ich ihn wichtig nehme. Wir sollten deshalb aufhören, die Zukunft der Kirche vom Wohlwollen der Hierarchie abhängig zu machen oder auf einigermaßen akzeptable Amtsträger zu hoffen. Denn die sind genauso überfordert und ratlos wie wir alle. Nur eine synodale und geschwisterliche Kirche kann erwachsen werden. 

Pastorale (T)Räume?

Die Gründung großer pastoraler Räume, die aus mehreren Pfarreien bestehen, halte ich für alternativlos. Sie sind der einzige Weg, dem Rückgang des kirchlichen Lebens praktisch zu begegnen, jedenfalls unter den derzeitigen kirchenrechtlichen Bedingungen: Priesterfixierung, Frauenfeindlichkeit, Monarchie. Wenn man meint, nichts weiter tun zu können, als das vorhandene Personal auf die Fläche zu verteilen, werden die pastoralen Räume mit der Zeit immer größer. Alle paar Jahre wird man diese Räume erweitern und hoffen, genügend Ehrenamtliche zu finden, die aus der Not eine Tugend machen und die seelsorglichen Lücken zu schließen versuchen. Das bedeutet jedoch: Wir behandeln die Symptome und verdrängen die Ursachen. Wir verwalten den Abbruch und verhindern den Aufbruch. Dann macht der letzte Bischof das Licht aus.

 

Zur Alternativlosigkeit der pastoralen Räume gehört die Ratlosigkeit der pastoralen Träume. Es geht ja nicht nur um leere Kirchen und die spirituelle Kraftlosigkeit der Getauften. Es geht um die Relevanz des Glaubens und darum, ob die befreiende Botschaft des Evangeliums noch glaubhaft bezeugt und gelebt wird. Tatsächlich kommen die volkskirchlichen Reste zumeist als Zivilreligion daher, die für bestimmte Lebenswenden Rituale anbieten soll: Geburt, Heirat, Tod, inklusive der Folklore bei Erstkommunion und Firmung sowie der religiösen Rudimente in Kindergarten und Schule. Für die Befriedigung solcher Urbedürfnisse braucht man weder einen Gott noch einen Erlöser. Das alles mag furchtbar nett sein, aber es bleibt erschreckend folgenlos, es ist weder nachhaltig noch gemeindebildend. Wie sollen Seelsorgerinnen und Seelsorger eigentlich damit klarkommen, hauptsächlich diesen archaisch-magischen Service zu bedienen? Wer einmal als Christ für Jesus gebrannt hat, wird als Eventmanager ausbrennen; wer eigentlich ein geistliches Leben führen will, wird an Erwartungen verkümmern, die mit der Nachfolge Christi kaum noch etwas zu tun haben. Eine Angebotsreligion, die sich in pädagogisierenden Moralitätchen erschöpft, führt in die Erschöpfung. Nur der geteilte Glaube bleibt lebendig.

 

Die pastoralen Räume kriegen wir hin, sie stellen die gut organisierte Bedeutungslosigkeit eines reformresistenten Kirchenapparats dar, sie bilden faktisch die äußere Fassade des Relevanzverlusts. Doch was bleibt vom Glauben? Bisher nehme ich nur Rückzug wahr, eine geteilte Ratlosigkeit, ja, ein resigniertes Abwarten. Wer erklärt die Bibel? Wer lehrt den Glauben? Wer hat etwas zu sagen, das wirklich nährt? Ist die Kirche gottlos geworden? Gott ist größer als die Kirche, das macht Mut.

Der Zölibat muss fallen

Der Zölibat muss fallen. Was der Glaubenssinn des Volkes Gottes seit Jahrzehnten fordert, was menschliche Vernunft und seelsorgliche Verantwortung gebieten, ist durch den Missbrauchsskandal noch einmal verschärft worden: Die kirchenrechtliche Verbindung zwischen Ehelosigkeit und Weiheamt gehört in die Mottenkiste der Kirchengeschichte. Sie hat unsägliches Leid verursacht und ist eine strukturelle Sünde der Kirche.

 

Biblisch, historisch und theologisch ist dazu bereits alles gesagt. Tatsächlich gibt es nur wenige Priester, deren Ehelosigkeit spirituell fruchtbar ist; die meisten beginnen ihren Dienst mit hohen Idealen, die sie wenig später einsam in Frage stellen. Wegen des Zölibats ist der Priesterberuf nicht attraktiv, geben hervorragende Seelsorger ihr Amt auf, werden Kollegen komisch und krank. Wegen des Zölibats kommt es zu Pastoralen Großräumen und zur Vernachlässigung der Eucharistie. Durch den Zölibat ist eine männerbündische, frauenfeindliche und selbstverliebte Hierarchie entstanden, die unter sich bleiben will. Der sexuelle Missbrauch schließlich gehört zu den Kollateralschäden des Pflichtzölibats, weil unreife Männer im klerikalen und homophilen Milieu des Priesterseminars unterkommen, statt sich ihren eigenen Untiefen zu stellen. Nimmt man diejenigen Priester hinzu, deren Übergriffe zwar nicht justiziabel waren, die in der Öffentlichkeit aber „verbrannt“ sind, so muss man feststellen: Da ist ein tiefer Sumpf, den Papst und Bischöfe offensichtlich in Kauf nehmen. Warum? Haben sie Angst vor einer Kirchenspaltung? Stecken sie vielleicht selbst in Seilschaften fest und fürchten die Fallhöhe? Oder sind sie einfach naiv? Der ständige Verweis auf die Weltkirche, derentwegen „man nichts machen kann“, ist eine billige Ausrede. 

 

Unsere Bischöfe sollen die Kirche leiten, gemeinsam mit dem Papst. Die meisten, so scheint mir, treten dabei zwar auf, bringen aber nur wenig voran. Hervorragend bezahlte Abwarter, Alles-beim-Alten-Lasser, Kopf-in-den-Sand-Stecker, Beschwichtiger und Frommsülzer. Dieses Nichtstun ist nicht nur verantwortungslos, sondern desaströs. „Warum habt ihr solche Angst?“, fragt Jesus. „Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Mk 4,40). Gegen den postmodernen Individualismus und den damit verbundenen Relevanzverlust des Glaubens können wir nur wenig tun. Alle anderen Kirchenprobleme sind hausgemacht. Die meisten hängen mit dem Pflichtzölibat zusammen. Wer den Klerikalismus überwinden will, muss den Zölibat abschaffen.