Freitag, 9. Mai 2025

Brief an Papst Leo XIV.

Sehr geehrter Herr Robert Francis Prevost,

lieber Papst Leo XIV.,

 

zu Ihrer heutigen Wahl zum 267. Papst unserer römisch-katholischen Kirche gratuliere ich Ihnen sehr herzlich. Sie dürfen für die Welt sein Segen sein! Trotz Ihrer pastoralen Erfahrung als Ordenspriester, Bischof und Kurienkardinal werden Sie Respekt vor Ihrer neuen Aufgabe haben, vielleicht sogar ein bisschen Angst. Ich wünsche Ihnen Mut und Zuversicht!

 

Sie brauchen kein Regierungsprogramm aufzustellen. Ihr Vorgänger, Papst Franziskus, hat eine Richtung vorgegeben, die für die römisch-katholische Kirche verbindlich bleiben sollte: die Sorge für die Armen und die Schöpfung, der Kampf gegen den Klerikalismus und die gelebte Synodalität. Dieses Programm dürfen Sie weiterführen, denn Papst Franziskus ist mit den dafür nötigen Reformen nicht wirklich weitergekommen. Den Worten müssen jetzt Taten folgen: ecclesia semper reformanda!

 

Ich bin froh, dass die römisch-katholische Kirche mit einer Stimme sprechen kann. Mit Ihrer Stimme, lieber Papst Leo XIV.! Im Lauf der Kirchengeschichte wurde das Papstamt mit weltlicher und, als diese zerbrach, mit geistlicher Macht geradezu aufgeladen. Der daraus entstandene Zentralismus hat der Kirche nicht gutgetan. Er hat den Glauben im Dogma erstarren und die Menschen vor Angst erzittern lassen. Was mir deshalb an Ihrem Amt nicht so gefällt, ist der absolute Primat in Leitung, Lehre und Moral. Hier wäre mehr Synodalität vonnöten. Ein Konzil beispielsweise sollte über dem Papst stehen.

 

Die mediale Aufmerksamkeit, die den Päpsten seit einigen Jahrzehnten zuteil wird, sehe ich dagegen als eine große Chance. Ihre Stimme, lieber Papst Leo XIV., wird gehört, sie hat Gewicht in der Welt, sie kann dem globalen Frieden und der Gerechtigkeit dienen. Deshalb sollten Sie Ihre Stimme erheben, wenn es um die Menschenwürde und die Schöpfung geht, sich aber zurückhalten, wenn Sie in Versuchung geraten, innerhalb der römisch-katholischen Kirche das letzte Machtwort sprechen zu wollen. Seien Sie also gerne nach außen eine moralische Instanz, nach innen aber eher ein Sprecher, ein Moderator, ein Repräsentant. Ein solches Papstamt wäre auch ökumenisch konsensfähig.

 

Ihr Vorgänger hat immer wieder den Klerikalismus angeprangert, dieses Machtgefälle, das unsägliches Leid verursacht hat. Theologisch müsste der Klerikalismus längst überwunden sein, denn jeder Mensch hat eine eigene Gottunmittelbarkeit. Wer dem Weiheamt eine größere Gottesnähe unterstellt, ist letzten Endes in einer archaisch-magischen, unreifen Religiosität stecken geblieben. Im Glauben gereifte Christinnen und Christen brauchen keine Überväter, denn sie haben Geschwister! Am besten können Sie, lieber Papst Leo XIV., den Klerikalismus überwinden, indem Sie Frauen zum Weiheamt zulassen, den Zölibat freistellen und das Bischofsamt zeitlich begrenzen. Damit würde die römisch-katholische Kirche ihr größtes Übel, nämlich den patriarchalen Klerikalismus, mit einem Schlag überwinden.

 

Ich vermute jedoch, dass dies während Ihrer Amtszeit nicht zu verwirklichen sein wird. Bisher sind alle Reformversuche an der Angst vor einer Kirchenspaltung gescheitert. Deshalb muss es zunächst darum gehen, die römisch-katholische Weltkirche zu regionalisieren. Ihr schöner Vatikan (nehmen Sie darin bitte Leitung wahr!) darf gerne das Verwaltungszentrum bleiben, ansonsten aber brauchen wir eine polyzentrische Weltkirche mit eigenen Befugnissen vor Ort, und zwar sowohl in der Struktur als auch in der Lehre. Vertrauen Sie, lieber Papst Leo XIV., auf den Gottesgeist, der weht, wo er will. Der moderne Mensch will Freiheit. Gewähren Sie deshalb eine möglichst große Freiheit auf Ebene der Bischofskonferenzen und der Diözesen, denn damit stärken Sie die Verantwortung aller für das Ganze. 


Ihr gewählter Name Leo XIV. weist bereits in diese Richtung, denn Papst Leo XIII. war als Autor der Enzyklika "Rerum Novarum" und als "Arbeiterpapst" der Erfinder des Subsidiaritätsprinzips, mit dem Eigenverantwortung und Kreativität gestärkt und der Zentralismus abgebaut werden soll.

 

Vielleicht haben Sie sich zu Beginn meines Briefes gewundert, dass ich Sie nicht mit einem Ehrentitel angesprochen habe. Ihr Vorgänger, Papst Franziskus, hat bereits sehr weise auf den Titel „Stellvertreter Christi“ verzichtet, offenbar weil er wusste, dass Jesus keinen Generalvikar braucht. Verzichten Sie, lieber Papst Leo XIV., bitte auch auf den Titel „Heiliger Vater“, denn Jesus hat uns geboten, niemanden auf Erden unseren Vater zu nennen (Mt 23,9). Für mich, lieber Papst Leo XIV., sind Sie ein Bruder, dem ich vertrauen möchte und mit dem ich mich in Christus verbunden weiß auf dem Weg zu einer missionarischen Kirche.

 

Mit herzlichen Segenswünschen!

Ihr Stefan Jürgens

Mittwoch, 19. Februar 2025

Differenzierte Gedanken zu einem schwerwiegenden Thema

Zur Suspendierung von Pastor M. aus Ahaus möchte ich folgendes zu bedenken geben:

 

1.     Die Transparenz des Bistums in der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs ist grundsätzlich vorbildlich.

 

2.     Es geht vorrangig um den Schutz der Betroffenen. Diese brauchen unsere Solidarität und Unterstützung, weil sie oft ein Leben lang leiden.

 

3.     Es war in unserem Bistum vereinbart worden, dass ein leitender Pfarrer bei der Investitur (Amtsübergabe) durch den Generalvikar informiert werden soll, falls es in seinem zukünftigen Pastoralteam Missbrauchsvorwürfe gegen eine Kollegin oder einen Kollegen gibt. Die Investituren für meine drei Pfarreien waren 2019 und 2022. Dabei habe ich jeweils eigens nachgefragt, ob etwaige Vorwürfe vorliegen. Dieses wurde verneint. Erst heute folgte die Begründung dafür: Die entsprechenden Verfahren waren noch nicht abgeschlossen. Es wäre dennoch allein für die Auswahl der pastoralen Arbeitsfelder hilfreich gewesen, von den Vorwürfen und Verfahren in Kenntnis gesetzt worden zu sein.

 

4.     Die Pressemitteilung des Bistums ist verwirrend und von daher vernichtend. Es ist nachvollziehbar, dass man aufgrund des Personenschutzes keine weiteren Einzelheiten nennen möchte. Dennoch wäre es sinnvoll gewesen, genauer zu differenzieren, allein um den Eindruck zu vermeiden, es handle sich um einen Pädophilen. Denn dies ist laut Aussage der Staatsanwaltschaft nicht der Fall. Die Pressemitteilung des Bistums öffnet weiteren Phantasien und Spekulationen Tor und Tür und schafft damit eine noch größere Verunsicherung.

 

5.     Bei allem Respekt vor der Präventionsarbeit des Bistums, der sich verändernden Haltung und den Institutionellen Schutzkonzepten, die auf Pfarreiebene erarbeitet worden sind, muss ich sagen: Die wirklich systemischen Ursachen des Missbrauchs (persönliche Unreife, Pflichtzölibat, klerikale Seilschaften, traumatisierende Binnenwelt des Priesterseminars) sind weltweit noch nicht angegangen worden. Die angekündigte Synodalität ist bisher nur ein frommer Wunsch.

 

6.     Insbesondere Pflichtzölibat und Klerikalismus spielen eine große Rolle. Durch den Zölibat wird niemand übergriffig. Aber aufgrund des Zölibats kommen leider auch Menschen ins Amt, die nicht beziehungsfähig sind oder Probleme mit ihrer Sexualität haben. Durch den Klerikalismus werden Strukturen aufrechterhalten, die Machtmissbrauch begünstigen.

 

7.     Solange diese strukturellen Ursachen nicht beseitigt sind, bleibt jeder Einzeltäter – bei aller gebotenen Transparenz, bei aller Priorisierung der Betroffenen, bei allem guten Willen – letztendlich doch auch sowohl Opfer als auch Profiteuer des Systems. Dieses System ist krank und es macht krank. Die katholische Kirche bedarf einer grundlegenden Reform.

 

Ahaus, 19. Februar 2025

Pfarrer Stefan Jürgens

Samstag, 8. Februar 2025

Freiheit und Demokratie

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im Grundgesetz. Und auf den ersten Seiten der Bibel lese ich: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild.“ Menschenwürde ist göttlich! Und Jesus lebt die universale Nächstenliebe. Ohne Grenzen.

 

Deshalb ist die Demokratie von allen Staatsformen die beste. Sie garantiert die gleiche Würde für alle, sie garantiert Freiheit und Vielfalt. Jede und jeder kann sich frei entfalten, sofern er niemand anderem schadet. Eine solche Freiheit jedoch braucht Verantwortung. Und ein waches Gewissen.

 

Selbstkritisch gebe ich zu: Meine Kirche ist keine Demokratie. Leider! Sie ist eine Monarchie, die im Feudalismus steckengeblieben ist. Als Christ und als Bürger jedoch mache ich mich stark für Freiheit und Demokratie. Beides stünde auch meiner Kirche gut an. Wir arbeiten dran.

 

Heute gibt es viele Tendenzen, die unserer Demokratie Schaden zufügen. Sie haben allesamt auch mit uns zu tun – wie wir denken und wie wir leben:

 

-       Da ist der Individualismus. Fast jeder steckt in seiner eigenen Meinungsblase fest. Die Debatte ist futsch, das Interesse am Ganzen geht verloren. Desinteresse jedoch führt zum Erstarken von Diktatoren, Oligarchen und Faschisten. Individualismus macht selbstbezogen. Das Gegenteil von Liebe ist: Gleichgültigkeit.

 

-       Da ist der Rückzug ins Private. Wer kennt noch seine Nachbarschaft, einen Verein, eine Initiative, eine Glaubensgemeinschaft? Dieser Rückzug ins Private bereitet Psychopathen und Narzissten den Weg an die Macht. Wir haben eine apathische Gesellschaft. Man zieht sich zurück. Man wird gleichgültig. Darum ist es gut, dass Sie alle heute hier sind, um dem etwas entgegenzustellen.


-       Da ist die Geschichtsvergessenheit. Sie birgt die Gefahr, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Wofür Generationen gekämpft und gelitten haben, das wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Freiheit braucht Verantwortung. Niemand kann sich deshalb erlauben, nicht zur Wahl zu gehen. Das Gegenteil von Liebe ist: Gleichgültigkeit.

 

-       Da ist die Dummheit. Allzu einfache Antworten auf komplexe Fragen. Populisten haben keine Lösungen. Keine einzige vernünftige Antwort! Stattdessen bieten sie Feindbilder. Sonst nichts! Sie möchten, dass wir ihre Feinde zu unseren machen. Es sind jedoch immer die Anständigen, die das Gute in der Welt bewirken.

 

-       Da ist schließlich die Angst. Sie führt zu Abgrenzung und Egoismus. Längst haben wir einen Krieg um Ressourcen, letzten Endes ausgelöst durch den Klimawandel. Wen wundert’s, dass gerade der Klimawandel von den antidemokratischen Kräften geleugnet wird. Es ist immer einfacher, die Schuld auf andere zu schieben, statt sich selbst zu ändern. 

 

Individualismus – Geschichtsvergessenheit – Angst.


Deshalb brauchen wir das Miteinander der guten Kräfte, den Schulterschluss der menschlichen Menschen. Über alle Partei- und Religionsgrenzen hinweg. Die guten Kräfte bündeln. Sich nicht heraushalten. Verantwortung übernehmen. Die Menschenwürde ist universal, sie gilt um Gottes willen. Und das Gegenteil von Liebe ist: Gleichgültigkeit. 


(Rede bei der Menschenkette des Bündnisses "Ahaus bleibt bunt" am 8. Februar 2025)