Donnerstag, 5. Dezember 2019

Erklärung zum Auftakt des Synodalen Weges

Am ersten Advent beginnt der synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland. Viele Menschen verbinden mit dem Gesprächsprozess die Hoffnung auf eine Erneuerung der Kirche.

Als Priester in der katholischen Kirche distanzieren wir uns von einem System, das die sexualisierte Gewalt ermöglicht, gedeckt und verschleiert hat, die Menschen unter dem Dach der Kirche erlitten haben.

In dieser Verantwortung, betroffen vom Leiden der Menschen, die zu Opfern gemacht wurden, denen physische oder psychische Gewalt angetan wurde, betroffen auch von den Leidensgeschichten von Kollegen, die innerhalb des kirchlichen Systems krank geworden sind oder vereinsamen, erwarten wir vom synodalen Weg konkrete Beschlüsse, die den Klerikalismus, eine der Wurzeln des Missbrauchs in der Kirche, wirksam bekämpfen.

Wir treten ein für Strukturen, in denen Macht kontrolliert wird und Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung geachtet werden sowie einen gleichberechtigten Zugang zu allen Ämtern und Aufgaben erhalten.

Wir rufen alle in der Kirche dazu auf, den synodalen Weg aufmerksam und kritisch zu begleiten.

Burkhard Hose
Stefan Jürgens
Siegfried Modenbach
Bernd Mönkebüscher

Donnerstag, 3. Oktober 2019

Heute in der Münsterlandzeitung

Pfarrer Stefan Jürgens füllt mit seinem neuen Buch „Ausgeheuchelt“ die Kirchenbänke „Ausgeheuchelt“ 
füllt die Kirchenbänke
Stadtlohn. Der frühere Stadtlohner Pfarrer Stefan Jürgens hat am Dienstag mit seiner Buchvorstellung den Veranstaltungssaal des Otgerus-Hauses gesprengt.
Von Katrin Sarholz

Der Andrang zur Buchvorstellung „Ausgeheuchelt“ von Pfarrer Stefan Jürgens war groß – viel zu groß für das Otgerus-Haus. 200 Personen fasste der Saal am Dienstag um kurz nach 19 Uhr, an die 300 warteten noch draußen. Es wurde telefoniert und organisiert, und eine große interessierte Karawane machte sich auf in die St.-Otger-Kirche, in der ein strahlender Stefan Jürgens das Publikum mit den Worten begrüßte: „Ich glaube, ich habe einen Riesenfehler gemacht – ich bin von Stadtlohn weggegangen!“

Ihn überrasche selbst der Erfolg dieses Buches, das schon auf der Spiegel-Bestsellerliste stehe und bereits nach vier Tagen vergriffen war. „Es ist seit Langem das erste christliche Buch, das es in die Bestsellerliste geschafft hat“, bestätigte auch Büchereileiterin Daniela Kies. In diesem sehr persönlichen Buch beschreibt Jürgens anhand der eigenen Lebensgeschichte, seiner Erfahrungen und Erkenntnisse, was sich in der Kirche ändern müsste, damit sie Bestand habe. „Es geht darum, Dinge klar zu benennen, nicht drauf zu hauen“, erklärte er.

Menschen und Strukturen

Die Kirche dürfe mit ihren strukturellen Sünden dem Menschen nicht im Wege stehen, und er führte aus, dass 2013 mit dem Skandal um Tebartz-van Elst mehr Menschen aus der Kirche ausgetreten seien als bei Bekanntwerden der ersten Missbrauchsfälle. „Jetzt stehe ich auf der Roten Liste, aber es geht mir dabei ganz gut!“, sagte Jürgens lachend. Der Pfarrer ging mit dem Mikrofon durch den Mittelgang und stellte sich den Fragen der Zuhörerinnen und Zuhörer. „Ich interessiere mich für die Macht der ängstlichen Männer …“, sagte eine Zuhörerin. „Das ist die Frauenfrage“, antwortete Stefan Jürgens lächelnd und erklärte, dass die Würdenträger immer gerne biblische Argumente heranzögen: Es seien nur Männer als Apostel ausgewählt gewesen. Oder: Nur ein Mann könne Jesus am Altar vertreten. Eigentlich hätten aber die „klerikalen Verbände“ Angst davor, aufgebrochen oder sogar zerstört zu werden, wenn eine Frau die Weihe erhielte. Was aber aus seiner Sicht jemanden zum Priester mache, sei nicht das Geschlecht, sondern die Weihe, die demnach Frauen auch nicht verwehrt werden dürfe.

Die „beste Freundin“

Mit viel Witz und Ironie führte Jürgens durch die Themen seines Buches, sang dazwischen ein Lied auf „seine beste Freundin“ – die Kirche, und betonte immer wieder, dass er nicht mit der Kirche abrechnen, sondern eine Möglichkeit aufzeigen wolle, wie es mit der Kirche aufwärts gehen könne. Er empfahl den Zuhörern, durchzuhalten und der eigenen Gemeinde treu zu bleiben. „Singen Sie kräftig mit und sagen Sie Ihre Meinung!“ Am Ende gab er denen, die ein Buch ergattert hatten, ein Autogramm und entließ alle mit den Worten „Lauft nicht weg, aber geht in Frieden.“

Quelle: Münsterlandzeitung am 3.10.2019, Lokalteil Stadtlohn

Sonntag, 15. September 2019

Ausgeheuchelt! So geht es aufwärts mit der Kirche (Herder)

Warum dieses Buch? (Vorwort)

Eigentlich sollte dieses Buch anders heißen: „Luft nach oben“. Der Titel sollte Mut machend mehrdeutig sein. „Luft nach oben“ – hier geht der Blick in Richtung Himmel, zu Gott, dem geheimnisvollen Grund und Ziel allen Lebens. „Luft nach oben“ sagt aber auch, dass da noch etwas möglich ist. Es mag in der Kirche „fünf nach zwölf“ sein, aber das kann Gott nicht daran hindern, die Geschichte mit den Menschen fortzuschreiben, in und außerhalb der Kirche. Ich möchte meinen Blick „nach oben“ richten, Luft holen und dabei zeigen, dass es auch „mit der Kirche aufwärts gehen“ kann, wenn sie ihre Chancen heute wahrnimmt. Das bedeutet vor allem, dass sie den Blick auf die Menschen nicht verliert. 

Jetzt lautet der Titel: Ausgeheuchelt! Weil der Wind des Wandels weht. Es ist Druck im Kirchenkessel. Die Basis will Reformen, die Leitung spiritualisiert. Ich meine jedoch: Man darf die Kirchen- und die Glaubenskrise nicht gegeneinander ausspielen. Das wird wichtig sein für den Synodalen Weg, für die Amazonas-Synode, für die vielen Reformbewegungen und ihre hierarchiegehorsamen Alles-soll-beim-Alten-bleiben-Gegengruppen. Es hat sich ausgeheuchelt, die Kirche muss in der Realität ankommen und sich um ihrer Glaubwürdigkeit willen grundlegend erneuern. Sie muss von den modernen Demokratien lernen und synodal werden, sich auf die modernen Wissenschaften einlassen und die Erkenntnisse der Theologie endlich ernst nehmen. Das ängstliche Verharren im Klerikalismus des 19. Jahrhunderts ist mit viel Heuchelei erkauft worden. Damit muss endlich Schluss sein.

Ich ordne meine Gedanken biographisch an, weil mir in jeder Phase meines Christ- und Priesterseins Erfahrungen und Erkenntnisse geschenkt worden sind, in denen ich neue Chancen für die Kirche sehe. Dies ist also ein persönliches Buch, ein seelsorglich motiviertes Buch, dessen Gedanken durchs Leben gegangen sind. Theologie ist Biografie. Und weil es auch ein sehr kritisches und ehrliches Buch ist, mit dem ich mich kirchenpolitisch durchaus auf Glatteis begebe, stelle ich sehr bewusst meine eigene Interpretation des Glaubensbekenntnisses an den Schluss. Ich bin kritisch, aber loyal.

Priestersein ist mein Traumjob. Und noch mehr: meine Berufung! Ich habe darin mein Lebensglück gefunden. Ich möchte nichts anderes sein oder tun als das, was ich jetzt bin und tun darf. Das bedeutet: Ich begreife mich mehr als Verkünder einer Botschaft und Begleiter von Menschen denn als Vertreter einer Institution. Deshalb war ich auch von Anfang an kritisch: Allein die archaisch-magische Sakralisierung des Amtes und den daraus resultierenden klerikalen Umgang mit Macht habe ich schon immer für die Ursünde der katholischen Kirche gehalten. Wer mich kennt oder von mir gelesen hat, der weiß, dass ich diese Meinung nie verhehlt und auch offen ausgesprochen habe. Jetzt bin ich in der Mitte des Lebens; ich bin einundfünfzig Jahre alt, wurde vor etwas mehr als fünfzig Jahren getauft und bin fünfundzwanzig Jahre im Dienst als Priester. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wer sich an Gott bindet, wird unabhängig von allem anderen. Wer sich an Jesus orientiert, gewinnt eine ganz tiefe innere Freiheit. Deshalb wage ich in diesem Buch manche Provokation, nicht um anzuklagen oder zu zerstören, sondern mitzuhelfen eine Kirche um- und aufzubauen, der ich mein Leben gewidmet habe und die ich trotz all ihrer Fehler immer noch lieben kann. Papst Franziskus lädt zu mehr Freimut ein, diese Einladung habe ich angenommen, offen und offensiv. Mancher wird beim Lesen denken: „Das mag ja alles stimmen, aber muss man das so ehrlich sagen, gerade als Mann der Kirche?“ Das habe ich mich auch gefragt, mich aber dann dafür entschieden, das Schweigen zu brechen – um Gottes und seiner Kirche willen. Manches habe ich tatsächlich sehr drastisch formuliert, aber nicht aus persönlicher Frustration oder gar Groll, sondern aus Liebe zur Kirche. Die Lage ist zu ernst für verschwurbelte Sonntagsreden, es wird Zeit für einen klaren und klärenden Blick. Ungeheuchelt!

Was ich mit diesem Buch vor allem erreichen will: Ich möchte meinen Mitchristen Mut machen, in der Kirche zu bleiben. Und ich möchte meine Kolleginnen und Kollegen in der Seelsorge dazu auffordern, der Resignation zu widerstehen und weiterhin selbstverantwortet Kirche mitzugestalten. Sie sind nicht nur die Totengräber der Volkskirche, ihre Arbeit ist mehr als Palliativpastoral. Meine Erfahrung zeigt: Die Kirche ist nach wie vor gesellschaftsrelevant, und auch die Gemeinde vor Ort ist als soziale Größe nicht ausgestorben. Die Feier der Eucharistie ist nach wie vor an vielen Orten und für viele Menschen Quelle und Gipfel ihres geistlichen Lebens. In der Katechese mag man von fortlaufendem Erfolg sprechen, denn nach der Erstkommunion oder Firmung laufen die meisten tatsächlich fort und kommen vorerst nicht wieder; ich erlebe jedoch, dass die Sehnsucht nach Gott ungebrochen ist. Und mit der Caritas kann die Kirche auch Menschen außerhalb einer Kerngemeinde erreichen. Schließlich ist da noch das weite Feld der Kasualienpastoral – Taufe, Trauung, Beerdigung: Die Sinnsuche aufzugreifen, die hier verborgen liegt, ist eine hochprofessionelle Aufgabe und wirksame Verkündigung.

Trotz all dieser Chancen und Bedeutungen muss man diagnostizieren: Die gut organisierte katholische Kirche in Deutschland ist auf dem Weg in eine gut organisierte Bedeutungslosigkeit. Die Kirche ist weltfremd geworden – und die Welt kirchenfremd. Oftmals steht die Kirche dem Evangelium geradezu im Weg. Und dabei fordert der Glaubenssinn des Volkes Gottes längst Reformen. Neue Zugangswege zum Amt, selbstverständlich auch für Frauen, sowie die Freistellung des Zölibats: Beides sind Dauerthemen und mittlerweile Ausdruck einer langen und lähmenden kollektiven Sexualneurose der katholischen Kirche mitsamt ihrer institutionellen Heuchelei. Ernstnehmen anderer Lebensmodelle und Biografien, Partizipation und Förderung des Engagements der Laien auf Augenhöhe, Ökumene und interreligiöser Dialog, die über symbolisches Händeschütteln hinausgehen: All das sind Reformen, die Kirche endlich ernsthaft angehen muss, will sie nicht in jener gut organisierten Bedeutungslosigkeit enden.

Trotz dieser Probleme und Anfragen bin und bleibe ich ein glücklicher Christ und Priester, denn ich kann voll und ganz nach meinem Gewissen handeln und im Rahmen der Kirche das sagen und tun, was ich für richtig und wichtig halte. Priestersein ist mein Traumjob, weil ich den Menschen nahe sein und alle Situationen ihres Lebens begleiten darf. Das Vertrauen, das einem dabei immer noch entgegengebracht wird, ist fantastisch, eine riesengroße Chance. Christsein ist eine Berufung, weil ich Jesus liebe und mich von ihm vorbehaltlos geliebt weiß, vor aller Leistung und nach aller Schuld. Für ihn und seine Botschaft lohnt sich jeder Einsatz, denn sie ist nach wie vor das Beste, was Gott und Welt zu bieten haben. Ich bin trotz allem im Großen und Ganzen zufrieden. Wenn ich auch meine: Die Welt braucht weniger Kirche und mehr Jesus. Gott ist größer als die Kirche, er ist längst bei den Menschen, wir müssen ihn da nicht erst hinbringen. Nicht nur die Kirche hat eine Mission, sondern Gottes Mission hat – auch – eine Kirche. 

Ich bin 1994 zum Priester geweiht worden, aber das ist mir mittlerweile gar nicht mehr so wichtig; ich begreife ich mich innerlich gar nicht so sehr als Priester in der Kirche, sondern viel eher als Christ in der Welt. Wenn ich das wirklich ernst nehme, ist alles getan, was ich tun kann. Gerne nenne ich mich selber einen Spielmann Gottes, denn da steckt Musik drin, Gottvertrauen – und eine geballte Portion Humor, die man dringend braucht, wenn man hauptberuflich bei der Kirche beschäftigt ist. Musik und Humor sind für mich Quellen für Resilienz, das heißt für die Fähigkeit, durch Krisen zu wachsen, darin Haltung zu bewahren und sogar an persönlicher Reife zu gewinnen. Ich glaube Jesus seinen Gott, und zwar dank, mit und trotz der Kirche.