Freitag, 24. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXIX: Ein neuer Anfang

Meine kleine Gebetsschule ist durch die Anfragen vieler Menschen entstanden, die nicht oder nicht mehr beten konnten. Und durch mein eigenes Suchen und Fragen. Daraus sind Texte, Anregungen und ein Buch entstanden, das ich auf „Kirche und Leben“ sowie in meinem Internet-Blog „Der Landpfarrer“ stückchenweise veröffentlichen durfte, in neununddreißig Abschnitten.

Mit dem Beten hatte auch ich anfangs große Schwierigkeiten. Ich wollte Christ sein mit Bewusstsein und Konsequenz, doch ich hatte ein Problem: Ich konnte nicht beten. Selbstverständlich habe ich es immer wieder versucht. Aber es wollte nicht gelingen. 

Bis ich irgendwann zu mir gesagt habe: Dein Glaube braucht ein Dach überm Kopf. Du darfst nicht so sehr auf Innerlichkeit setzen – also bete von außen nach innen. Methoden reinigen das Herz – tu immer wieder dasselbe, halte durch, mach dein Gebet nicht abhängig von Lust und Laune, von Erfolg und Misserfolg. Sondern stelle dich hinein in die Erfahrung vieler Beterinnen und Beter vor und mit dir. Und siehe – es begann in mir zu beten. Heute bin ich dankbar, mein Gebet nicht mehr zu überfordern, sondern mein ganzes Leben in Gottes Gegenwart bestehen zu versuchen. Meine eigene Gebetspraxis ist durch eine Schule gegangen. Es fällt mir immer noch schwer, aber das belastet mich nicht mehr.

In meiner Gebetsschule ging es zunächst um die Gottesfrage, das wichtigste Thema des Glaubens: Wer ist Gott? Und wer ist Gott – für mich ganz persönlich? Dann ging es um die Bedeutung Jesu Christi für mein ganz persönliches Glauben (Glauben ist ein „Tu-Wort“!). Und um den Heiligen Geist, die Kraft Gottes, durch die er mir näher ist als ich mir selbst. Die weiteren Impulse sind praktische Anregungen, eine verlässliche Ordnung zu entwickeln (das ist das Allerwichtigste). Und verschiedene Gebetsweisen und Methoden kennen zu lernen. 

Ich bete nicht, weil ich glaube, sondern ich glaube, weil ich bete! Ohne das persönliche Gebet wird Gott zu einem Niemand. Ich möchte mit meinem Beten nicht Gott verändern. Aber ich vertraue darauf, dass Gott mich verändert, wenn ich bete.

Ich wünsche Ihnen einen neuen Anfang mit Gott!
Stefan Jürgens

Donnerstag, 23. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXVIII: Gotteskrise

„Die Kirchenkrise ist in Wirklichkeit eine Gotteskrise“, so ist immer wieder zu hören. In unserer postmodernen Welt mit ihrem Zwang zur Erfindung des eigenen Lebens ist auch Religion willkommen – jeder so, wie er mag, unverbindlich und ohne Solidarität. Wellness für die Seele ist „in“, der Glaube an ein persönlich ansprechbares Du ist „out“, weil er Konsequenzen fordern würde: Beziehungen beruhen immer auf Gegenseitigkeit. Da wundert es einen kaum, dass auch das Gebet keine große Rolle mehr spielt. 

Selbst in unseren Kerngemeinden erlebe ich zusehends, dass Menschen, die noch ab und zu zum Gottesdienst gehen, das persönliche Gebet längst eingestellt haben. Man betet in der Kirchenbank, aber nicht auf der Bettkante (außer in Notzeiten, dadurch entsteht ein problematisches „harmloses“ Gottesbild). Das Gebet jedoch ist der erste und ursprünglichste Ausdruck des Glaubens seit Menschengedenken. Alle Theologie kommt aus der Sprache der Gebete: Vor dem Nachdenken über oder auch von Gott stand das Sprechen, Klagen und Schreien zu Gott. 

Selbst viele Kirchenprofis (so genannte Hauptamtliche, zuweilen auch Apparatschiks) erleben einen Zwiespalt: Sie befassen sich mit Kirchenstrukturen, organisieren und verwalten immer größer werdende Gemeinden. Und sollten doch eigentlich die Vorbeter und Spirituale ihrer Gemeinden sein. Auch ihr Gebet – Gottesdienst und Stundenliturgie – wird ohne das persönliche Beten hohl und leer. Man merkt einer Seelsorgerin, einem Seelsorger schnell an, ob sie oder er betet. Und man merkt ihren Andachten und Gottesdiensten an, ob sie nur vorgeschriebene oder zusammen kopierte Texte aneinanderreihen, oder ob sie beten.

So ergänze ich die These: „Die Kirchenkrise ist in Wirklichkeit eine Gotteskrise“ mit dem Zusatz: „Und die Gotteskrise zeigt sich am ehesten in der Krise des Gebets.“ Wenn das Gebet der erste Ausdruck des Glaubens ist, und wenn der Glaube allein die Kirche zum Blühen bringen kann, dann ist die Wiederentdeckung des Gebets die beste „Medizin“ gegen das Verdunsten des Glaubens, gegen Bedeutungsverlust und Christenmangel. Und wenn der Gottesdienst der Kirche, das gemeinschaftliche Beten, immer mehr zum Event wird, zur möglichst kurzweiligen, aber dafür groß angelegten Unterhaltung, weil er weniger oder gar nicht mehr vom Gebet getragen wird, dann ist das persönliche Beten „auf Du und Du“ das beste Mittel zur Verlebendigung der Kirche und ihrer Liturgie. Und dann ist Beten – missionarisch!


Weil ich bete

Ich kann Gott nicht beweisen.
Es gibt gute Gründe zu glauben,
Hinweise vielleicht.
Aber ich sage zu ihm: Du!
Ich glaube, weil ich bete.


Morgen kommt der letzte Beitrag!
Stefan Jürgens

Mittwoch, 22. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXVII: Beten in der Familie

Die erste Form des Gebets ist das Leben. Leben wird dort zum Gebet, wo es bewusst gelebt und gestaltet wird. Wo der berufliche Alltag dies zulässt, sind zum Beispiel die gemeinsamen Mahlzeiten, vor allem sonntags, mehr als nur Nahrungsaufnahme. Beim Mahl geschieht Kommunikation, beim Mahl entsteht Gemeinschaft (Gemahl und Gemahlin!). Auch das Vorlesen von Geschichten kann zu einer Form des Gebets werden: Die Geschichte schenkt Anteil am Erfahrungsschatz der Eltern und anderer Menschen; der Horizont weitet sich, Leben wird gedeutet, Sinn wird erfahren. Gleiches gilt für gemeinsam gestaltete Freizeit, für Spiel und Sport. Durch Symbole (Kerzen, Kreuz, Marienbild) wird der Glaube wie selbstverständlich in das Leben der Familie hinein geholt.

Gebet mit Kleinkindern

Jesus richtete Seine Botschaft an Erwachsene. Den Kindern hat Er segnend deutlich gemacht: Ihr seid von Gott geliebt! Damit brachte Er Seine Botschaft kindgerecht auf den Punkt. Die Familie ist eine Kirche im Kleinen, eine Hauskirche. Wenn Eltern ihre Kinder segnen, dann erfahren sie ein Zweifaches: zum einen, dass Gott sie begleitet, zum andern, dass auch die Eltern auf Gott und nicht nur auf ihre eigene Kraft vertrauen. Eltern, die ihre Kinder segnen und mit ihnen beten, relativieren sich selbst auf Gott hin. Nur Er ist absolut. Eltern können zum Beispiel beim Zu-Bett-Bringen ein Kreuz auf die Stirn ihrer Kinder zeichnen. Auch in anderen Formen von Geborgenheit und Zärtlichkeit gewinnt das Kind jenes Urvertrauen, das es für eine gesunde Einstellung zur Welt, zu den Menschen, zu sich selbst und zu Gott braucht.

Gebet mit Kindern im Kindergartenalter

In diesem Alter kann sich der Blick weiten auf andere Menschen hin. Eltern können morgens, abends oder bei Tisch den Kindern an ihrem eigenen Beten Anteil geben. Das langsame Hineinfinden in den erwachsenen Glauben ist besser als das Verkindlichen desselben. Innerhalb ihres eigenen Betens können die Eltern Raum geben für die Anliegen und Bitten der Kinder. Man kann fragen: Für wen sollen wir jetzt beten, an wen besonders denken? Den Kindern wird schnell jemand einfallen. Im Danken sind Kinder häufig sogar die Lehrmeister der Erwachsenen. So wird schon in diesem Alter deutlich: Durch Jesus Christus, unseren Bruder, stehen wir Menschen in solidarischer Gemeinschaft vor Gott. Dabei sind die Eltern Vor-Beter im Doppelsinn des Wortes: Sie beten zunächst vor und dann erst mit den Kindern, und sie beten ihnen vor.

Gebet im Grundschulalter

Spätestens im Grundschulalter sollte sich das Kind auch vorformulierte Gebete aneignen, die in der christlichen Tradition von großer Bedeutung sind – auswendig und inwendig. Dabei kommt es weniger auf das Verstehen als auf das Tun an; was der Mund nicht sagen kann, geht niemals zu Herzen: Wir beten von außen nach innen, und wir sprechen vor Gott eine Sprache, die größer und weiter ist als der eigene kleine Glaube je sein kann.

Wenn Menschen keine Worte mehr haben, dann können sie oft nicht anders, als auf diese Gebete zurückzugreifen. Außerdem machen sie das Christsein gemeinschaftsfähig. Wird die Vermittlung der Grundgebete allein der Katechese oder dem Religionsunterricht überlassen, so besteht die Gefahr, dass der Glaube zu einer Sonderwelt wird, der seinen Ort nur in der Kirche, in der „frommen Ecke“, am Rand … aber eben nicht mitten im Leben hat. Für das Kind kann der Eindruck entstehen: „Erwachsene brauchen keinen Gott. Wenn ich einmal groß bin, brauche ich auch keinen mehr, denn Gott ist nur etwas für Kinder.“ Auswendig gelernte Grundgebete geben Anteil am Glauben der Erwachsenen und der ganzen Kirche.

Leben mit der Kirche

Die Kirche dankt Gott für Jesus Christus, denn durch Ihn sind wir erlöste und befreite Menschen, unwiderruflich geliebt und erwählt zum ewigen Leben. Das Leben Jesu Christi wird im Kirchenjahr immer wieder gefeiert, in Erinnerung gerufen und dadurch vergegenwärtigt. Wenn christlicher Glaube vor allem eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus ist, wenn dieser Glaube durch Verkündigung und Feier gestärkt und sakramental greifbar wird, dann ist er ohne das Leben mit der Kirche und ohne gegenseitiges Weggeleit der Christen untereinander nicht denkbar und vor allem nicht lebbar. Glaube ohne Kirche, das ist wie: „Hab mich lieb, aber pack’ mich nicht an!“ Weihnachten kann man nicht feiern ohne die Kar- und Ostertage mitzuvollziehen; Feste kann man nicht feiern, wenn man den Alltag einer Gemeinde nicht kennt. Kinder können besser in einen erwachsenen Glauben hineinfinden, wenn sie lernen, ganz selbstverständlich mit der Kirche zu leben.

Jugendalter – Vorbild sein, ohne Druck auszuüben

Im Jugendalter wird sich, wie in vielen anderen Lebensbereichen, auch die religiöse Welt der Kinder von den Eltern ablösen. Hier zeigt sich auch, ob die religiösen Kinderschuhe ausgezogen und erwachsene Wege des Glaubens begonnen werden. Zu spät ist es dafür allerdings nie.

In religiös gleichgültigen Familien entschwindet der Kinderglaube hier wie ein alter Schirm, den man irgendwo hat stehen lassen und beim besten Willen nicht mehr weiß, wo; die Religion verdunstet einfach, wird nicht weiter vermisst oder schnell durch eine andere Überzeugung ersetzt (Erfolg und Konsum, Desinteresse und Langeweile, Esoterik und Ideologie) . In gläubigen Familien sind jetzt endlose Diskussionen an der Tagesordnung. 

Die Jugendlichen versuchen, ihre eigene Existenz zu entwerfen, jemand zu werden; die Ablehnung überkommener Muster bei gleichzeitigem unreflektiertem Adaptieren von Verhaltensweisen von Gleichaltrigen oder von Idolen erzeugen nach außen hin ein ständiges inkonsequentes Durcheinander von Gefühlen.

Zwischen gläubigen Eltern und Kindern bleiben nur wenige Gemeinsamkeiten. Wichtig ist, dass die Eltern ihrer Sache treu bleiben, dass sie Rechenschaft und Zeugnis geben von ihrem Glauben, ohne Druck auszuüben: nicht nur überzeugen, sondern Zeugnis geben. Durch bewusst gestaltetes Leben bleiben sie Vorbilder – weit über das Jugendalter ihrer Kinder hinaus. Wie schön und ermutigend, wenn diese dann spüren: „Unsere Eltern glauben und beten immer noch. Sie haben uns nicht um Gott betrogen.“

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Dienstag, 21. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXVI: Erwachsen werden

Durch Jesus Christus, das heißt durch Sein Leben, Seine Botschaft, Seinen Tod und Seine Auferstehung, hat Gott uns als Seine Kinder angenommen. Wir sind erlöst – Gott hat sich uns unwiderruflich geschenkt, nichts kann uns trennen von Ihm, nicht einmal der Tod. Wir sind befreit von allem religiösen Leistungsdruck: Gottes Liebe ist unverdientes Geschenk, wir müssen uns vor Ihm nicht mehr beliebt machen, uns nicht durch gut gemeinte Taten ängstlich absichern. Durch die Taufe ist uns zugesagt, dass wir jetzt schon als neue Menschen leben dürfen.

Das erste im christlichen Glauben ist also das Geschenk des neuen Lebens, das uns Gott in Jesus Christus gemacht hat. Wer sich so von Gott geliebt weiß, wird darauf antworten. Deshalb ist das zweite, dass wir dieses Geschenk im Leben sichtbar machen dürfen und sollen. Die Zusage ist: Du bist erlöst! Der Auftrag lautet: Mach durch dein Leben erfahrbar, dass Gott es gut mit uns meint!

Der christliche Glaube ist also nicht eine Zusammenstellung von Geboten und Verboten, Glaubenssätzen und Traditionen, sondern ein Leben aus der persönlichen Beziehung mit Jesus Christus. Das ist eine anspruchsvolle Angelegenheit und eigentlich nichts für Kinder. Die Familie darf die Kinder auf dem Weg eines erwachsenen Glaubens mitnehmen. Man kann dies in kindgerechter Weise tun, wenn man selber weiß, was einem der Glaube bedeutet. Sonst kann es leicht geschehen, dass auch der Glaube der Eltern zu einer Kindersache wird, die im Alltag nicht trägt.

Wenn ein Kind nicht wächst, ist es irgendwann ein Zwerg; der vielbeschworene Kinderglaube ist deshalb wohl meistens nur ein Zwergenglaube. Zeichen dieses Zwergenglaubens ist häufig die naive Vorstellung, Gott sei in einer Weise allmächtig, dass Er wundersam ins Weltgeschehen eingreift, wenn man Ihn nur herbeiruft – der Lückenbüßergott „ex machina“, der plumpe religiöse Handel um Segen und Glück. Mit Beziehung, Liebe und Freiheit hat das nichts zu tun.

Viele Menschen bleiben glaubensmäßig auf diesem Kinder- und Zwergenniveau stehen; in ihrer Beziehung zur Kirche verbleiben sie lebenslang in einer sich gegen alles und jeden auflehnenden Pubertät, die jede Autorität mitsamt den dahinterstehenden Inhalten und Traditionen unter Verdacht stellt. Der Glaube von Kindern, Zwergen und Pubertierenden ist für heranwachsende Kinder nicht interessant, weil er meistens nicht trägt; allein der erwachsene Glaube hat missionarische Kraft – auch in der Familie. Die erste Voraussetzung für ein Gebetsleben in der Familie ist also der bewusste und immer mehr erwachsen werdende Glaube der Eltern.

Morgen geht es weiter!
Stefan Jürgens

Montag, 20. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXV: Was beten unsere Kinder?

Was beten unsere Kinder? Die Antwort ist ganz einfach: Unsere Kinder beten, was die Erwachsenen beten. Wenn die Erwachsenen nicht beten, tun es die Kinder auch nicht. Wenn die Erwachsenen nur Kindergebete können, hören die Kinder auf zu beten, wenn sie erwachsen sind. Sie denken dann: Glauben ist ja bloß Kinderkram, das lassen wir bleiben. Tradition, die nur noch pädagogisch gebraucht und missbraucht wird, bricht ab. So ist das. Das merken auch schon Kinder.

Glauben ist etwas für Erwachsene. Kinder können in diesen Glauben hineinwachsen, aber erfassen können sie ihn noch nicht. Brauchen sie auch nicht! Jesus hat die Kinder in den Arm genommen und gesegnet; Er hat ihnen nicht gepredigt. Paulus hat Gemeinden gegründet, keine Kindergärten. „Wenn der Glaube zu klein ist, wächst man heraus. Er muss zu groß sein, dann kann man hineinwachsen.“

Das ist beim Beten wie mit der Bibel: Kinder müssen die biblischen Geschichten kennen lernen, damit sie sie können, wenn sie erwachsen sind. Die Interpretation der Bibel ergibt sich erst im erwachsenen Glauben. 

Kein Kind kann die Geschichte vom barmherzigen Vater (Lukas 15,11-32) verstehen, aber jedes Christenkind sollte sie lernen. Kein Kind kann wie der verlorene Sohn freiwillig von zu Hause fortgehen, weil es ja noch abhängig ist; es kann nicht zum verlorenen Sohn werden, solange ihm der Horizont der Freiheit, in die Gott uns stellt, völlig fremd ist. Aber jeder Christ sollte die Geschichte kennen, damit sie sich selbst interpretiert, wenn man sich im Leben verrannt hat, wenn Umkehr angesagt ist. Dann brauche ich den Glauben an einen barmherzigen Gott, der da ist, auf mich wartet und mich festlich empfängt.

Was beten unsere Kinder? Wenn sie keine Vorbeter haben, beten sie gar nicht. Wenn sie Vorbeter haben, die selber religiös in den Kinderschuhen stecken, lassen sie es irgendwann bleiben. Oder sie verlassen sich auf den Esoterikmarkt inflationärer Engelbücher, das ist aber auch Kinderkram. Wenn sie erwachsene Vorbeter haben, lernen sie beten: Erst durch Nachahmung, dann durch Reflexion. Schließlich werden sie erwachsene Christen.

Mehr als alle Kindergebetbücher, mehr als alle Kindergarten- und Grundschulpädagogik brauchen unsere Kinder erwachsene Christen, über deren Glauben man zuerst staunen kann, den man dann nachahmt und der schließlich zu einem eigenen, erwachsenen Glauben führt. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg!

Nach meiner Erfahrung mit Familien steht es um das Gebet der Generationen ungefähr so: Es gibt wenige Familien mit Gebetspraxis und Kirchenbindung. Es gibt viele Familien ohne jede Gebetspraxis und Kirchenbindung. Es gibt einige Familien mit ungeklärter Kirchenbindung und einem ererbten magischen Gottesbild, das unreflektiert an die Kinder weitergegeben wird: Aberglaube, Sorgenpüppchen und Omas Schutzengelgebete landen in der Suppe einer gemischten Religiosität, die vor allem dazu dient, sich selbst irgendwie beschützt zu fühlen. Das ist das naturreligiöse Bedürfnis nach eigener Sicherheit. 

Die Glaubenstradition ist so weit abgebrochen, dass die, die beten, es sehr bewusst tun. Die meisten aber tun es gar nicht, und wenn doch einmal, dann eher magisch-religiös als gläubig: Es wird „gebetet“ (und gebettelt), wenn man Sorgen hat, sozusagen an den Rändern des Lebens (Ängste, Trauer und Tod), nicht aber in dessen Mitte. 

Auch wenn es hart klingt: Nur von den wenigen gläubige Familien mit Gebetspraxis und Kirchenbindung ist zu erwarten, dass sie ihren Kindern das Beten lehren.

Morgen geht es weiter!
Stefan Jürgens

Sonntag, 19. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXIV: Ora et labora

Was wir beten, muss zu uns und zu Gott „passen“. Und was wir tun, muss aus dem Gebet kommen. Ora et labora, sagen die Mönche, bete und arbeite. Unsere Gemeinden dürfen nicht nur Oratorium sein, sie müssen auch Laboratorium werden: Bethaus und Werkstatt. Was wir tun, wie wir leben, das alles kann und soll Gebet sein. Wir können nicht Christus in die fromme Ecke oder hinter die Sakristeitür einsperren, wir dürfen Gott und Welt nicht trennen. Schöne Liturgien feiern und die Welt sich selbst überlassen, das ist nicht im Sinne Jesu.

Ora et labora, das heißt auch: Anspannung und Entspannung müssen einander abwechseln, Aktion und Kontemplation ineinander gehen. Spiritualität als weltentrückter Raum jenseits des Lebens ist bloß religiöse Ideologie; Spiritualität, die das Leben liebt und prägt, ist Glaube. 

Es gibt Christenmenschen, die meinen, besonders fromm zu sein, aber sie packen nichts richtig an. Gottes Sohn aber ist Mensch geworden in Jesus Christus, mit Hand und Fuß, aus Fleisch und Blut. Deshalb ist Glaube, der nicht Hand und Fuß bekommt, blutleer und lahm. „Inkarnationsverweigerung“ (Inkarnation = Fleischwerdung, Menschwerdung) nenne ich diese „Krankheit“: Glaube bleibt Religion, wird nicht weltlich, nicht konkret. Fromme Worte, charismatische Selbstüberschätzung – und irgendwann erklärt man den eigenen Vogel zum Heiligen Geist. Viele dieser „Inkarnationsverweigerer“ feiern seltsamerweise am liebsten – Weihnachten (aber mehr auch nicht). Es muss romantisch sein, es geht ums Herz, regressive Gefühle einer vermeintlich heilen Kinderwelt stellen sich alle Jahre wieder ein: furchtbar nett, aber erschreckend folgenlos, das Leben ändert sich dadurch um keinen Deut. Man hat sich eingerichtet in seiner kleinen Welt, religiöse Rituale beruhigen die Seele, aber kein beunruhigender Glaube richtet in der Welt noch etwas aus. 

Grundsätzlicher formuliert: „Der religiöse Akt ist immer etwas Partielles, der Glaube etwas Ganzes, ein Lebensakt. Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, sondern zum Leben“ (Dietrich Bonhoeffer). Glaube und Leben müssen einander durchdringen, hier und jetzt, diesseitig und konkret: ora et labora!

Beten ohne Arbeiten ist lahm, Arbeiten ohne Beten ist blind. Glauben ist diesseitig. Spiritualität heißt: „Leben in Gottes Gegenwart“, mit dem, was Er uns zur Aufgabe macht, was wir als Seinen Willen mit uns erkennen dürfen. Vielleicht ist es das, was der Apostel Paulus gemeint hat, wenn er sagt: „Betet ohne Unterlass“ (1 Thess 5,17): Leben in Gottes Gegenwart, das Gebet der Tat, das Tun des Gebets; gebetetes Leben und gelebtes Gebet. Wer sich für andere die Hände nicht schmutzig machen will, der kann sie auch nicht falten. Nur mit dem Gesicht zur Welt kann ich zum Himmel aufschauen, und nur mit festem Boden unter den Füßen das Herz zu Gott erheben.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Freitag, 17. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXIII: Meditation - Leere zum Erfüllen

Meditation ist ein Wort, das für alles Mögliche gebraucht wird: Vom bloßen Schweigen bis zur frommen Kurzgeschichte ist alles drin, auch der größte Wortmüll wird heute „meditativ“ genannt, einfach wenn er ruhig vorgetragen wird. Meditation kann einfach Üben bedeuten, eine Übung machen, nachsinnen und bedenken, oder auch: zur Mitte finden, von außen nach innen gehen. Sie darf wort- und gegenstandslos sein, aber niemals orientierungslos. Darin unterscheidet sich die christliche Meditation von allen fernöstlichen und esoterischen Methoden, die auch unter Christen fröhliche Urständ feiern.

Vielen Menschen fällt es schwer, Gott als persönliches Gegenüber anzusprechen, zu Ihm wirklich „Du“ zu sagen und damit dem Gebet eine Orientierung zu geben, die auf Beziehung hin angelegt ist. Nachdenken und Leerwerden vom Stress des Alltags sind noch kein Gebet; sie können es aber werden vor dem „Du“ des lebendigen Gottes. Es kommt einfach darauf an, was man daraus macht.

Meditieren heißt für mich zuerst: empfangen. Das wichtigste ist, nicht unter Leistungsdruck zu geraten. Ich muss nichts bringen außer das, was kommt. Ich muss mich nicht konzentrieren, um alle meine Gedanken abzustellen. Wenn ich aber meine Gedanken so ziehen lasse, dann sind sie auf einmal nicht mehr wichtig. Dann kommt etwas Neues, etwas Eigentliches in mir zum Vorschein. Da werde ich ganz ruhig, atme gleichmäßig, spüre irgendwann: Gott lebt in mir, Er möchte mir etwas sagen, mich umfangen. Nachdem ich also zunächst in Ruhe mir selbst begegne, trifft mich Gott, begegnet Er mir. 

Konkret geht das so: Ich nehme mir Zeit und Raum, setze mich bequem hin (welche Haltung ich dabei einnehme, ist egal, aber eine bestimmte, immer gleichbleibende Haltung braucht man schon), lasse alle Gedanken kommen, die da sind. Nachdem sich etwas mehr Ruhe eingestellt hat, lese ich aufmerksam ein Bibelwort, das ich vorher – nicht während der Übung – ausgewählt und aufgeschlagen habe. Dann gehe ich mit diesem Wort um, drehe es in Gedanken hin und her, bis es mir darin etwas sagt. Wenn es nicht gelingen will, ist das nicht schlimm, ich versuche es morgen wieder. 

Manchmal schweige ich einfach im Angesicht Gottes, lasse mich anschauen von Ihm, ohne irgendetwas zu wollen. Sein gütiger Blick macht mir häufig besser bewusst, Sein Kind zu sein, als jede Beschäftigung mit der Bibel. Immer schließe ich mit einem Gebet ab, mit einem Du-Wort zu Gott. Wenn ich aus der Meditation aussteige, spüre ich jedes Mal ein großes Gefühl von Dankbarkeit. Und das, obwohl ich kein Mensch bin, der sich gut „versenken“ kann.

Meine Meditation ist wie ein Meer: An der Oberfläche ist es unruhig, manchmal sogar stürmisch, aber je tiefer ich nach unten eintauche, desto ruhiger wird es. Ich darf mich nur nicht an der Oberfläche ärgern, sondern muss sie liebgewinnen: Auch sie gehört zu meinem Leben dazu. Nur: Die Oberfläche ist immer am weitesten vom Mittelpunkt entfernt. Ich kann durch meinen Lebensstil eine innere Atmosphäre schaffen, die meine Meditation, mein Zur-Mitte-Kommen, unterstützt, damit meine innere Leere sich nicht sofort mit Lärm zu füllen beginnt. Ich möchte tiefseits der Oberfläche leben, mit mehr Tiefgang, damit mein Lebensschiff geradewegs durch die Wogen und Wellen geht. Und ich möchte, dass meine Meditation kein Selbstzweck ist, kein Einswerden und keine Erleuchtung bringt, sondern Hingabe und Liebe an Gott und die Menschen. Die Bewegung von außen nach innen soll sich in der Herzmitte – in Gottes Gegenwart – verwandeln in eine liebende Bewegung von innen nach außen, zur Welt hin.

In meiner regelmäßigen Meditation kommt es mir nicht so sehr auf Erfüllung an, sondern auf Treue; das Äußere trägt mehr als das Innere, weil die äußere Ordnung nach einiger Zeit zur inneren wird. Und obwohl ich versuche, nicht ergebnisorientiert zu meditieren, habe ich die tiefsten Einsichten ins Leben hier gewinnen dürfen: innere Sammlungen von Gelassenheit und Lebenssinn, Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem, Entscheidung für Gott. Ich habe die Erfahrung gemacht: die Leere, die sich einstellt, ist kein Selbstzweck, weil Gott selbst sie füllen will. Er füllt mich aus, nachdem ich leer geworden bin – das ist Erfüllung jenseits der vielen Worte.


BETEN

Ohne alle Texte sprich aus dir heraus.
Ohne alle Formeln formuliere dein Leben.
Ohne jede Sprache schweige laut vor Gott.

Nicht nur Ruhe, sondern Stille.
Nicht nur die Nerven, sondern das Herz.
Nicht Du selbst, sondern Gott.


ES IST SCHON ALLES GESAGT


Herr, mache mich still,
denn es ist alles schon gesagt.
So viele Worte, so viele Gebete
haben Menschen schon zu Dir gesandt:
Dank und Bitte, Lob und Klage.

Ich will still sein vor Dir,
leer werden, die Worte loslassen.
Und wenn Du willst, Herr,
dann gib mir neue Gedanken,
neue Gefühle, neue Worte.

Herr, mache mich still,
denn ich habe schon alles gesagt.
Wo meine Worte verhallen,
meine Gebete verklungen sind,
gib Du mir Dein Wort – Jesus Christus.

Mit Seinem Leben, Seiner Botschaft,
Seinen Zeichen, Seinen Wundern,
Seinem Sterben, Seinem Ostern,
Seiner Wiederkunft und Seiner Vollendung – 
ist alles schon gesagt.


Bis morgen!
Stefan Jürgens

Kleine Gebetsschule XXXII: Schaffe Schweigen!

Schweigen ist sicherlich die Hochform des Betens. Der Beter lässt sich anschauen von Gott. Er wird ganz und gar leer – aber nicht im esoterischen Sinn eines Leerwerdens für irgendeine Energie, sondern im Sinne einer Orientierung auf das Geheimnis Gottes hin, im Sinne einer Offenheit für Ihn.

Sören Kierkegaard schreibt: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht nur Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören, beten heißt, still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.“ Und er fordert dazu auf, „Schweigen zu schaffen“.

Dieser Erfahrung kann ich zustimmen. Die Erfahrung des gefüllten, orientierenden Schweigens vor Gott ist jedoch zumeist eine Erfahrung nach allen gesprochenen Worten; es ist gut, zunächst die Gebete der Bibel und der Glaubenstradition nachzusprechen, mitzusprechen, damit auch das Schweigen das „Du“ Gottes nicht aus dem Blick verliert. Eine wichtige Anregung zum Schweigen finde ich in der Geschichte des Propheten Elija.

„Elija stand auf, aß und trank und wanderte ... vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb. Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn: Was willst du hier, Elija? Er sagte: Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben, und nun trachten sie auch mir nach dem Leben. 
Der Herr antwortete: Komm heraus, und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle“ (1 Könige 19).

Dazu eine kleine Betrachtung:
         
Elija kann nicht mehr.
Leidenschaftlich hat er sich eingesetzt für seinen Gott.
Mit prophetischer Kraft hat er sich stark gemacht – 
für den starken Gott Israels.

Und nun?
Alles scheint vergeblich.
Elija ist auf der Flucht.
Man trachtet ihm nach dem Leben,
und deshalb wünscht er sich den Tod.

Gott aber lässt ihn nicht allein.
Gestärkt mit Brot und Wasser,
wie durch Engelhand geführt,
wandert er zum Gottesberg Horeb –
dem Berg des Bundes,
dem Berg der Freiheit Seines Volkes.

Hier, an diesem heiligen Ort, 
lässt Gott sich erfahren:
nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer.
Dieser Gott schockiert nicht mit Naturgewalten.

Elija spürt genau – Gottes stillschweigende Wesenheit!
Von Sturm, Erdbeben und Feuer bleibt er sichtlich unberührt. 
Erst ein sanftes, leises Säuseln lässt ihn hörbar erahnen, wer da auf ihn zuschweigt.
Nicht ein Wettergott ist Jahwe,
nicht eine Macht der niederreißenden Gewalt
sondern ein stiller, sanfter Gott der meditativen Zärtlichkeit.

Ein sanftes, leises Säuseln – unerhört!
Martin Buber, der jüdische Religionsphilosoph, 
nennt es eine „Stimme verschwebenden Schweigens“. 
Im „verschwebenden Schweigen“ singt Gott von Seiner Berührbarkeit und Nähe. 
„Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, 
trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.“
In diesem mystischen Element völliger Leere 
sterben alle vertrauten Gottesbilder von Allmacht und Gewalt. 
Gerade die Stille, das schweigende Nichts 
wird zum schauerlich-ergreifenden Moment von Gottes Gegenwart.

Gotteserfahrung ist mitschwingendes Anteilnehmen, 
Resonanz des Ewigen, 
Klang aus der Wesensmitte des Seins, 
schweigendes Tönen nach dem Getöse dieser Welt.

Das Schweigen Gottes in der Berührbarkeit Seines Propheten Elija – 
das ist eine Grundhaltung des Glaubens:
-       in die Stille kann ich mich versenken,
in die Arbeit nur vergraben.
-       in die Ruhe kann ich eintauchen,
in der Hektik nur untergehen.

Stille ist eine Bewegung nach innen: sie sammelt.
Lärm ist eine Ablenkung nach außen: er zerstreut.

Jeder Klang will zur Stille reifen:
-       In vielen Musikstücken sind es gerade die Pausen, in denen sich die innere Dramatik der Musik bis zum Äußersten steigert: Die Stille ist die Spannung in der Musik!
-       Und der Rhythmus – er besteht aus jenen pulsierenden Impulsen, die den Raum der Stille schöpferisch gestalten: Die Stille ist der Raum des Rhythmus‘!
-       Rhythmus entsteht aus den Pausen zwischen den Impulsen. Kreativität entsteht in den Pausen zwischen dem Schaffen. Die Stille ist der Raum der Schöpfung!

Die Stille ist sanft. Sie weckt Empfindungen. 
Sie umschwebt uns schweigend: 
nicht ohrenbetäubend wie der Lärm, 
sondern herzergreifend wie die Liebe.

Nicht im Aufsehen erregenden Tun offenbart sich Gott,
sondern im hörbaren Sein.

Wenn mir einmal Hören und Sehen vergeht, 
dann tauche ich ein in Gott, der unerhört auf mich zuschweigt.
Ich werde ruhig in der Gnade des Schweigens.
Ich höre von Herzen die Stimme der Stille.


Bis morgen!
Stefan Jürgens

Donnerstag, 16. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXI: Herzensgebet - durchatmen mit Jesus

Eine ganz eigenwillige, einfache und doch sehr intensive Gebetsform stammt aus der Ostkirche: das Jesusgebet. Die „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“ berichten, wie jemand dieses Gebet lernt. Es besteht darin, mündlich oder im Innern unaufhörlich ein kurzes Gebet zu wiederholen: „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.“ Das Wort Jesus, verstanden als heiliger Name, steht hier im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Bringt man das Gebet in Einklang mit dem Rhythmus des Atems, so löst sich das Bewusstsein allmählich von dem, was die Stille und das Schweigen des Herzens stören kann, und sammelt sich auf Anbetung hin: beim Einatmen spricht man „Herr Jesus Christus“, so als wolle man den Geist des Herrn in sich einlassen, beim Ausatmen spricht man „erbarme dich meiner“, so als könne das Erbarmen des Herrn unmittelbar Gelassenheit und Leichtigkeit schaffen. Wichtig ist, alle Gedanken, Gefühle und Wünsche auf den Namen Jesus hin zu konzentrieren.

Eine Hilfe bei der Sammlung und Konzentration auf den Namen Jesus können ein abgedunkelter und geräuschloser Raum sein, eine Gebetsschnur zur Einhaltung des Rhythmus’; eine ruhige, gelassene Körperhaltung, die geistige Präsenz und Ehrfurcht vor dem Geheimnis Gottes zum Ausdruck bringt, wie z.B. das Sitzen auf einem Gebetshocker. Neben der Verbindung des Gebetswortes mit dem Ein- und Ausatmen gibt es auch eine Verbindung mit dem Rhythmus des Herzschlages, oder man legt bei der Anrufung des heiligen Namens die rechte Hand auf das Herz.

Bei der Fülle von Gedanken, Bildern und Vorstellungen, die durch den Kopf rasen und die Konzentration mindern, ist es hilfreich, diese einfach „kommen zu lassen“, anstatt sie durch Willensanstrengung zu bekämpfen. Man lässt die vielen Gedanken zunächst kommen, um sie in Ruhe weiterziehen zu lassen; schließlich ist die Aufmerksamkeit beim Herrn, ohne sich besonders anzustrengen. Ich selbst stelle mir meine vielen Gedanken, die mich ablenken wollen, häufiger als Wolken vor: kleine weiße oder hohe dunkle Gewitterwolken, je nachdem. Aber ich lasse sie in Ruhe weiterziehen, „weil ich sie jetzt nicht brauche“, bis der Himmel vor meinem inneren Auge frei und blau ist. Schließlich ist mein Herz frei und leer für das Jesusgebet, die Ausrichtung auf den Herrn. Ich komme dann ohne Bilder aus, bete regelmäßig, ruhig und rhythmisch, frei von Phantasie und Einbildung. Ich bin da vor Ihm, das genügt. Schließlich wird aus dem noch mündlich gesprochenen Gebet ein geistiges, nur noch im Innern vollzogenes. 

Wenn die Anrufung des heiligen Namens vom Geist ins Herz hinabgestiegen ist, spricht man vom Herzensgebet: nicht mehr ich spreche zu Ihm – das ist das „angestrengte“ Gebet, sondern Er spricht in der Mitte meines Herzens zu mir – das ist das „selbsttätige“ Gebet, das „immerwährende“ Gebet, das nur ganz selten gelingt. Es ist eine Gnade, so zu beten, und nicht das Ergebnis einer bestimmten Technik. Wer ruhig werden möchte, der versuche es deshalb mit dem gesprochenen Jesusgebet, vielleicht mit dem Rhythmus des Ein- und Ausatmens. 

Die Ruhe, die das Gebet schenkt, ist schon eine besondere Erfahrung, ein großes Geschenk.

Bis morgen!
Stefan Jürgens