Spaltung und Depression. Das ist meine Wahrnehmung von Gesellschaft und Kirche heute: Spaltung und Depression. Wir spüren: Es könnte gefährlich werden in der Welt. Eine bleierne Schwere liegt auf allem.
Spaltung überall in der Welt: Wo eine Nation sich nur noch selber sieht. Wo man sich identifiziert, indem man sich abgrenzt. Wo ein Volk über ein anderes herfällt. Wo Kulturen unversöhnlich aufeinandertreffen. Wo Machtinteressen die anständige Politik untergraben.
Spaltung gibt es immer noch zwischen Mann und Frau, zwischen Gläubigen und Ungläubigen, zwischen Religionen und Konfessionen, zwischen Reichen und Armen, zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen; zwischen denen, die Ahnung haben, und denen, die lediglich zu allem eine Meinung äußern.
Im zweiten Psalm heißt es: „Warum toben die Völker? Warum machen die Nationen vergebliche Pläne?“ – Das ist genau unserer Zeit! Spaltung bedeutet: Die Extreme werden stärker, die Mitte verliert an Kraft. Der Konsens kommt zu kurz. Die Freiheit wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Es ist nicht zu fassen!
Es gibt aber auch eine Spaltung in uns, in mir: Die Gewissheiten sind dahin, die Solidarität, der Blick auf das Ganze schwindet. Man zieht sich zurück ins Private. Wir stumpfen ab. Was bleibt, ist Depression. Depression in Gesellschaft und Kirche. Hoffnungslosigkeit. Man lässt den Kopf hängen. Lethargie. Verzweiflung. Man kann ja doch nichts machen...
Stimmt das? Kann man nichts machen?
Doch! Gott macht es uns vor. Dafür steht Weihnachten.
Weihnachten bedeutet: Gott ist interessiert an uns (inter-esse) – er ist mitten dazwischen. Er hält sich nicht raus. Er wird Mensch – und überwindet die Spaltung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Er wird ein Kind – und zeigt, dass er die Lust an der Welt nicht verloren hat. Von Martin Luther wird das Wort überliefert: „Jedes Kind bringt die Botschaft mit sich, dass Gott seine Lust an der Welt noch nicht verloren hat!“ Um wie viel mehr muss das von seinem Sohn Jesus, dem Christ-Kind, gelten!
Gott überwindet die Spaltung, heilt die Depression, schafft die Einheit. Und wo ist er zu finden? „Gott wohnt, wo man ihn einlässt“, lautet ein chassidisches Sprichwort. „Wo die Güte und die Liebe, da wohnt Gott“, singen wir manchmal. Wo Liebe und Güte sind, da ist Gott!
Gott überwindet die Spaltung und heilt die Depression: einfach, indem er Mensch wird. Sich nicht raushält. Nicht sagt: Man kann ja doch nichts machen. Wenn auch wir menschlich werden, dann haben wir Gott verstanden. Dann sind wir bei ihm (wie er immer bei uns ist).
Erich Fried schreibt: „Zu den Steinen hat einer gesagt: ‚Seid menschlich.‘ Die Steine haben gesagt: ‚Wir sind noch nicht hart genug.‘“ Das ist ein hartes Wort! Wenn wir menschlich werden wollen, müssen wir weich werden, berührbar, leidempfindlich (vulnerabel). Nicht mehr mitmachen beim Kampf aller gegen alle. Die Hände reichen statt Ellenbogen. Nicht: „Man kann ja doch nichts machen“, sondern: „Mensch werden!“
Spaltung und Depression sehe ich auch in der Kirche! Spaltung zwischen Reformern und Bewahrern, zwischen Ortsgemeinde und Weltkirche, zwischen Basis und Hierarchie, zwischen Verwaltung und Seelsorge. Zwischen wissenschaftlicher Theologie und amtlicher Macht.
Ich war im Kino (kommt selten vor). In dem Film „Konklave“ nach dem Roman von Robert Harris (lief in Ahaus, kriegt bestimmt bald einen Oskar). Ein Film um Macht und Intrigen. Am Beispiel des Vatikans und der Wahl eines neuen Papstes. Der Vatikan ist dabei wirklich nur ein Beispiel. Das Ganze ist nicht „typisch Kirche“, sondern „typisch Macht“ und „typisch Männer“!
Kardinaldekan Lawrence leitet das Konklave. Er macht einen guten Job. Aber er hat Glaubenszweifel. Und sagt ein wahres Wort: „Die größte Sünde unserer Zeit ist die Gewissheit. Gewissheit ist der Feind der Einheit. Gewissheit ist der Feind der Toleranz.“ Die Gewissheit sorgt dafür, dass man die eigene Meinung für die einzige hält und das Leben der anderen bekämpft. Gewissheit schafft Unheil. Deshalb wünscht Lawrence sich einen Papst, der den Zweifel kennt.
Tedesco, der Kardinal von Venedig, ein barocker und narzisstischer Typ, ist der Kandidat der Erzkonservativen. Er ruft zur Spaltung auf, zum Krieg der Religionen. Kardinal Bellini gilt als Kandidat der Liberalen. Er ist der Erzfeind von Tedesco und war ein Vertrauter des verstorbenen Papstes. Der konservative Kardinal Tremblay aus Kanada, der durch Intrigen und Stimmenkauf an die Macht will (Simonie), dabei aber auffliegt. Unter anderem durch die sehr mutige Schwester Agnes („Wir sollen unsichtbar sein, aber Gott hat auch uns Augen und Ohren gegeben“). Da ist noch Kardinal Adeyemi aus Nigeria, der zunächst viele Stimmen hat, als noch konservativer gilt als Tedesco, dann aber auffliegt wegen einer Affäre vor vielen Jahren. Ein Knick in der Biografie. Er wäre der erste afrikanische Papst geworden.
Ausgerechnet der Kardinal aus Kabul (Benitez), den keiner kannte, der nur im Geheimen ernannt worden war, ja, der biologisch Mann und Frau zugleich ist (wozu er nach vielen inneren Kämpfen stehen kann), der wird zum Papst gewählt. Gerade der Außenseiter bringt die Rettung, die Einheit, die Toleranz! Interessant: der Außenseiter. Nicht aus dem Zentrum der Macht. Nicht einer aus dem Zentrum der Intrigen. Wie bei Jesus, dem Außenseiter, dem Ohnmächtigen, dem Erlöser und Heiland!
Hören Sie mal einen Auszug aus Benitez‘ Rede. Sie ist die Antwort auf den von Tedesco beschworenen Krieg der Religionen): „Bei allem Respekt. Was wissen Sie vom Krieg? Ich habe mein Amt im Kongo ausgeübt. In Bagdad und Kabul. Ich habe die Reihen von Toten gesehen. Und Verwundete. Christen und Muslime. Wenn Sie sagen: „Wir müssen kämpfen!“ – Wogegen müssen Sie kämpfen? Meinen Sie, es sind die Verblendeten, die solche Gräueltaten verüben? Nein, mein Bruder. Das Böse ist in uns. Der Kampf findet hier statt – im eigenen Herzen. Sie sehen nicht die Menschen, Sie sehen nur sich selbst, Ihre Macht. Sie sehen nur Rom. Kirche, das ist nicht Tradition. Kirche ist das, was wir aus wir machen.“
Weihnachten bedeutet: Gott ist interessiert an uns – er ist mitten dazwischen. Er wird Mensch – und überwindet die Spaltung: zwischen Himmel und Erde und zwischen Gott und Mensch. Er wird ein Kind – und zeigt, dass er die Lust an der Welt nicht verloren hat.
Wenn wir menschlich werden, haben wir Gott verstanden. Menschlich werden, das können wir doch. Oder? Wenn wir menschlich werden wollen, müssen wir berührbar werden, leidempfindlich (vulnerabel). Nicht mehr mitmachen beim Kampf aller gegen alle. Die Hände reichen statt Ellenbogen.
Augustinus sagt:
„Ihr seid die Zeit.
Seid ihr gut,
sind auch die Zeiten gut.“