Freitag, 20. März 2020

Gebetsschule IV: Christen beten anders

Vielen Menschen fällt es schwer, Gott als persönliches Gegenüber, als „Du“ anzuerkennen und anzusprechen. Wir leben in einer Zeit der „religionsfreundlichen Gottlosigkeit“ (J.B. Metz): Religion als Wellness für die Seele ist höchst willkommen, als kompensatorisches Freizeiterlebnis zum Ausgleich einer immer kälter werdenden Welt, die an Konsum, Technik und Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Wurde der Name Gottes über lange Zeit von den Mächtigen in Gesellschaft und Kirche herrschaftlich missbraucht, wurde Seine Liebe durch dunkle Bilder und erzieherische Maßnahmen entstellt, waren die kämpferischen Atheismen vielleicht Antworten auf eine Religion, die alles andere als Freiheit ausstrahlte, so kommt Religion heute scheinbar ganz ohne diesen Namen aus: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der auch der Gott Jesu Christi ist, hat in esoterischer Seelenverzauberung und inhaltsleeren wie orientierungslosen Egotrips keinen Platz mehr.

Wie komme ich wieder neu zum Glauben an den Gott, der mich zuerst geliebt hat und zu dem ich „Du“ sagen kann, zum Glauben an den Gott der Bibel? Denn nur in diesem Glauben kann ich wirklich beten. Mir hat dabei eine ganz neue Beziehung zu Jesus Christus geholfen; eine Beziehung, die mir gezeigt hat, was es bedeutet, Kind Gottes zu sein. Und eine Unterscheidung, die manche verblüfft und viele provoziert, die aber das entscheidend Christliche auf den Punkt bringt: die Unterscheidung zwischen Religion und Glaube. Ich bete zu Gott, dem Vater, als Sein geliebtes Kind – ganz eng an der Seite Jesu Christi, mit Ihm zusammen, durch Ihn und in Ihm.

Das Gebet ist der erste Ausdruck des Glaubens – in allen Religionen. Der Mensch wendet sich seinem Gott zu, mal naiv und magisch, mal aufgeklärt und mystisch. Und doch beten Christen anders: Denn Gott hat sich den Menschen zugewandt. Der Mensch antwortet auf diese freie Initiative Gottes, indem er glaubt, betet und handelt. Nicht der Mensch macht sich auf zu Gott – Gott macht sich auf zum Menschen. Das ist der entscheidende Unterschied auch im Gebet.

„Wie komme ich zu Gott? Wie kann ich den Berg erklimmen, auf dem „Er“ thront?“ Das ist die uralte Frage aller Religionen. Es geht darum, was ich tun muss, um „Gott“ irgendwie dingfest, brauchbar und nützlich zu machen. Als Antwort bot sich den Menschen über Jahrtausende an: das Opfer. Etwas Wichtiges wurde den „Göttern“ geopfert, damit sie einem gnädig seien; man handelte mit ihnen: Menschenopfer gegen Weltgleichgewicht, Tieropfer gegen Sündenvergebung, Naturgaben gegen Fruchtbarkeit und reiche Ernten, Gebete und gute Taten gegen Gesundheit und Wohlergehen; neuerdings bestimmte Meditations- und Entspannungstechniken gegen Glücksgefühl und Ausgleich vom Stress, kurz: religiöse Leistung gegen persönlichen Profit. Ein Kapitalismus ist das, in dem der, der mehr geben kann, mehr herausbekommt und über denen steht, die nicht so reich an Opfern, Gebeten und guten Taten sind; eine Frömmigkeit, die sich in Glück und Segen auszahlt. Dieser Kapitalismus sitzt noch heute in vielen Seelen und verbreitet religiöse Angst und religiöse Arroganz zugleich, je nachdem ob man zu „denen da unten“ oder zu „denen da oben“ gehört. 

Und er hat verheerende Auswirkungen auf das Gottesbild: Ein Gott, mit dem man handeln muss, ist nicht wirklich Gott; Er ist nicht liebend und frei, sondern ein von Menschen abhängiger Buchhalter von Opfern und Taten, ein mickriger Glücksautomat für menschliche Wünsche und Bedürfnisse, ein alberner Hanswurst, der nicht agieren, sondern nur reagieren kann – und vor dem man ständig Angst haben muss, nicht genug „eingezahlt“ zu haben.

Wie ich zu Gott komme, ist für das Christentum keine Frage mehr, denn in Christus ist Gott zu mir gekommen. Ich muss den Berg nicht mehr erklimmen, auf dem Er thront, weil Er in der Menschwerdung Jesu Christi selbst herunter gekommen ist, um mich in Liebe anzunehmen und zu erlösen. Der Berg der Religion – Gott selbst hat den Abstieg gewagt in der Menschwerdung Seines Sohnes, und in Seinem Tod und Seiner Auferstehung ist dieser Berg endgültig gesprengt worden, ein für allemal. Ich muss den Vorhang, der das Geheimnis Gottes verhüllt, nicht mehr durch eigenes Wissen und Tun zu lüften versuchen, weil er längst herunter gerissen ist durch Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus. Ich muss Ihm nichts opfern, nichts schenken; meine Gebete und guten Taten sind keine Bedingung für Seine Liebe, sondern ich selbst bin eine Antwort darauf: Ich gebe dann nicht „etwas“, um „etwas anderes“ herauszubekommen, sondern ich empfange Jesus Christus, um mich selbst zu geben. „Der Glaube kommt vom Hören“ (Römer 10,17), sagt der Apostel Paulus; Glauben hat also mit Empfangen und Weitergeben, nicht mit Produzieren und Belohnen zu tun. Für religiösen Kapitalismus und Leistungsdruck ist im Christentum kein Platz mehr, weil wir alle in Christus als Kinder Gottes, als Schwestern und Brüder bedingungslos und leistungsfrei angenommen sind. Das bedeutet nicht, untätig zu sein: Der Anspruch der Liebe ist immer größer als der Handel mit dem, was sich bezahlt macht; die Liebe bringt stets Größeres hervor als Berechnung, Schuldigkeit und Pflicht.

Bis morgen!
Stefan Jürgens