Samstag, 28. März 2020

Kleine Gebetsschule XII: Der Normalfall des Betens

Menschen überfordern sich, wenn sie meinen, das Gebet müsse ganz von innen her kommen; es müsse erfüllend sein, ein ganz besonderes Erlebnis. Wer so denkt, lässt es schnell wieder bleiben. Beten ist überhaupt keine Kunst, sondern eher ein Handwerk. Ich möchte gerade das Äußere schätzen lernen, und das bedeutet: Immer zur gleichen Zeit, am selben Ort und sogar mit immer gleichen Worten beten; nicht auf Erfüllung aus sein, sondern einfach durchhalten. Und wenn es nicht gelingen will, dann nehme man sich trotzdem die Zeit und tue weiter nichts. 

Ich habe mich immer schon gefragt, warum auch „moderne“ Menschen in alten Kirchen so schnell zur Ruhe kommen. In manchen Innenstadtkirchen treffe ich erstaunlich viele Menschen, die einfach nur da sind, vielleicht sogar beten. Warum? Weil die „Wände“ einfach so viel an Glauben, an Geschichte, an Erfahrung „atmen“, dass es von selbst anfängt, in einem zu beten. Man setzt sich einfach hinein, und schon betet es in einem. Weil Zeit und Ort „stimmig“ sind, findet auch das Herz ein Zuhause. 

Die äußere Ordnung des Betens trägt – wie in jeder Beziehung. Diese äußere Ordnung ist der Normal- und Ernstfall des Betens, der den Glauben lebendig hält und den Alltag vor Banalität bewahrt. Demgegenüber ist das Stoßgebet, jedenfalls als einzige und isolierte Gebetserfahrung, problematisch, weil es Gott meistens für Alltagsprobleme missbraucht.

Es gibt einige Regeln, wie man von außen nach innen beten kann:

  1. Fange klein und bescheiden an: keine allzu großen Vorsätze.
  2. Unser Gebet braucht eine feste Zeit und einen festen Ort.
  3. Treue ist wichtiger als Erfüllung – nur nach Lust und Laune geht es nicht. 
  4. Beten kann langweilig sein, weil es mit lernen zu tun hat; was man noch nicht kann, fällt schwer, und wenn man es dann kann, fällt es leicht. 
  5. Eine feste Form entlastet. Gesten, Formeln und kurze Sätze soll man auswendig können. 
  6. Wenn man nicht beten kann, soll man es bleiben lassen. Weil aber das Gebet verletzlich ist und jeder anderen Beschäftigung schnell geopfert wird, soll man den Raum und Zeit dafür frei lassen – und einfach weiter nichts tun. 

Beten ist keine Kunst, sondern eher ein Handwerk.
Die äußere Form, die regelmäßige Übung geben meinem Glauben ein Dach über dem Kopf. 

Dass diese äußere Form, die Ordnung des Betens auch mit Gewohnheit zu tun hat, ist überhaupt kein Problem. Wichtig ist immer die Freiheit, denn ohne Freiheit ist keine Beziehung möglich. Die Ordnung trägt, auch wenn sie zur Gewohnheit geworden ist: Ich „wohne“ dann in Gottes Gegenwart, bis ich „heimisch“ bin in Seinem Geheimnis. Gewohnheit ist alles andere als gewöhnlich oder nur äußerlich. So wie ein Gebirge die Summe von Bergen ist, so ist eine Gewohnheit die größtmögliche Gesamtheit von Wohnen und ein Geheimnis die weiteste Vorstellung von heimisch sein und Heimat haben. Je mehr ich mir das Beten zur Gewohnheit mache, desto mehr bin ich im Geheimnis Gottes zu Hause.

Erst wenn die Ordnung zwanghaft ist, wird sie abstoßend. Verliebte küssen sich hoffentlich gewohnheitsmäßig, aber niemals zwanghaft; zum Küssen gezwungen zu werden könnte ziemlich widerlich sein. Wenn die Beziehung stimmt und die Freiheit steht, sind Gewohnheit und Ordnung eine große Entlastung. Nur was ich immer wieder in Freiheit tue, prägt mich von Herzen, durch und durch. Zum Glauben und Beten darf niemand gezwungen, aber es kann zur guten Gewohnheit werden.

Bis morgen!
Stefan Jürgens