Donnerstag, 23. April 2020

Kleine Gebetsschule XXXVIII: Gotteskrise

„Die Kirchenkrise ist in Wirklichkeit eine Gotteskrise“, so ist immer wieder zu hören. In unserer postmodernen Welt mit ihrem Zwang zur Erfindung des eigenen Lebens ist auch Religion willkommen – jeder so, wie er mag, unverbindlich und ohne Solidarität. Wellness für die Seele ist „in“, der Glaube an ein persönlich ansprechbares Du ist „out“, weil er Konsequenzen fordern würde: Beziehungen beruhen immer auf Gegenseitigkeit. Da wundert es einen kaum, dass auch das Gebet keine große Rolle mehr spielt. 

Selbst in unseren Kerngemeinden erlebe ich zusehends, dass Menschen, die noch ab und zu zum Gottesdienst gehen, das persönliche Gebet längst eingestellt haben. Man betet in der Kirchenbank, aber nicht auf der Bettkante (außer in Notzeiten, dadurch entsteht ein problematisches „harmloses“ Gottesbild). Das Gebet jedoch ist der erste und ursprünglichste Ausdruck des Glaubens seit Menschengedenken. Alle Theologie kommt aus der Sprache der Gebete: Vor dem Nachdenken über oder auch von Gott stand das Sprechen, Klagen und Schreien zu Gott. 

Selbst viele Kirchenprofis (so genannte Hauptamtliche, zuweilen auch Apparatschiks) erleben einen Zwiespalt: Sie befassen sich mit Kirchenstrukturen, organisieren und verwalten immer größer werdende Gemeinden. Und sollten doch eigentlich die Vorbeter und Spirituale ihrer Gemeinden sein. Auch ihr Gebet – Gottesdienst und Stundenliturgie – wird ohne das persönliche Beten hohl und leer. Man merkt einer Seelsorgerin, einem Seelsorger schnell an, ob sie oder er betet. Und man merkt ihren Andachten und Gottesdiensten an, ob sie nur vorgeschriebene oder zusammen kopierte Texte aneinanderreihen, oder ob sie beten.

So ergänze ich die These: „Die Kirchenkrise ist in Wirklichkeit eine Gotteskrise“ mit dem Zusatz: „Und die Gotteskrise zeigt sich am ehesten in der Krise des Gebets.“ Wenn das Gebet der erste Ausdruck des Glaubens ist, und wenn der Glaube allein die Kirche zum Blühen bringen kann, dann ist die Wiederentdeckung des Gebets die beste „Medizin“ gegen das Verdunsten des Glaubens, gegen Bedeutungsverlust und Christenmangel. Und wenn der Gottesdienst der Kirche, das gemeinschaftliche Beten, immer mehr zum Event wird, zur möglichst kurzweiligen, aber dafür groß angelegten Unterhaltung, weil er weniger oder gar nicht mehr vom Gebet getragen wird, dann ist das persönliche Beten „auf Du und Du“ das beste Mittel zur Verlebendigung der Kirche und ihrer Liturgie. Und dann ist Beten – missionarisch!


Weil ich bete

Ich kann Gott nicht beweisen.
Es gibt gute Gründe zu glauben,
Hinweise vielleicht.
Aber ich sage zu ihm: Du!
Ich glaube, weil ich bete.


Morgen kommt der letzte Beitrag!
Stefan Jürgens